Vorsatzanfechtung ohne Nebenwirkungen?
Anfechtungsversicherungen sind noch recht neu im Sortiment der Warenkreditversicherer, scheinen sich aber als Ergänzung zur klassischen Warenkreditversicherung trotz der guten Wirtschaftslage derzeit gut zu verkaufen. Sie sollen Lieferanten vor den wirtschaftlichen Folgen einer Insolvenzanfechtung durch den Verwalter schützen. Bereits in unserem Beitrag vom 20.08.2015 (Vorkasse als Sicherungsmittel) haben wir uns mit der Insolvenzanfechtung beschäftigt. Nur wenige Tage danach kam aus unserem Netzwerk die Frage, ob wir Erfahrungen mit Anfechtungsversicherungen gemacht haben und was davon zu halten ist.
Wir meinen: Das ist eine Frage, die alle angeht.
Anfechtungsversicherungen wegen Vorsatzanfechtung?
Das wesentliche Verkaufsargument der Versicherer klingt bedrohlich und bleibt in den Werbeprospekten für Anfechtungsversicherungen nicht unerwähnt: Der Verwalter kann Zahlungen bis zu 10 Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anfechten (sog. Vorsatzanfechtung, § 133 InsO).
Wie realistisch ist aber, dass eine Vorsatzanfechtung erfolgen kann? Greifen Anfechtungsversicherungen hier wirklich?
Vorsatzanfechtung aktuell
Während die sonst zentralen Anfechtungstatbestände die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen in der wirtschaftlichen Krise des Schuldners regeln, beruht § 133 InsOauf der Missbilligung von Schuldner-Verhalten. Der Schuldner soll einzelne Gläubiger nicht zum Nachteil anderer bevorzugen (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2005 – IX ZR 211/02). Entscheidend ist, ob ein vom Vorsatz getragenes Verhalten des Schuldners zur Befriedigung seines Gläubigers beigetragen hat, er also auch hätte anders handeln können.
Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter den Vorsatz des Schuldners, Gläubiger zu benachteiligen, beweisen.
Daneben ist es aber auch erforderlich, dass der bevorzugte Gläubiger Kenntnis von diesem Vorsatz hatte. Auch dies muss der Insolvenzverwalter beweisen. Die Kenntnis von diesem Vorsatz wird aber unterstellt, wenn der Gläubiger wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht und die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligt (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das sieht auch der BGH so (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – IX ZR 188/07).
Alles in allem erscheint es durchaus möglich, dass ein Lieferant „Opfer“ einer Vorsatzanfechtung werden kann. Hier wäre es natürlich charmant, auf Anfechtungsversicherungen noch für die letzten zehn Jahre zurückgreifen zu können.
Neuordnung der Vorsatzanfechtung
Für die eigene Einschätzung, ob Bedarf an Anfechtungsversicherungen besteht, sollten allerdings auch die aktuellen Reformbestrebungen im Blick gehalten werden:
Der Gesetzgeber hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, durch den er vor allem die Vorsatzanfechtung einschränken möchte, damit die „ausufernde Rechtsprechung“ zur Vorsatzanfechtung eingedämmt wird.
Klarheit soll dadurch geschaffen werden, dass für Deckungsgeschäfte (Befriedigungs- oder Sicherheitsleistungen) nach dem neuen § 133 Abs. 2 InsO nur noch für vier Jahre eine Anfechtung in Betracht kommt. Außerdem soll es bei kongruenten Deckungsgeschäften, also solchen Leistungen, die der Gläubiger auch verlangen durfte (siehe auch unseren Beitrag vom 20.08.2015 (Vorkasse als Sicherungsmittel), nicht mehr schädlich sein, wenn der bevorzugte Gläubiger von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste. Erst wenn er Kenntnis von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit hatte, soll seine Kenntnis von Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet werden.
Zudem sollen nur noch „unangemessene“ Benachteiligungen anfechtbar sein. Angemessen sollen solche Handlungen sein, die zu einem unmittelbaren Austausch gleichwertiger Leistungen führen. Der Austausch ist dann unmittelbar, wenn er unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt. Das Bemühen des Gesetzgebers ist löblich. Die von ihm gewählten unbestimmten Rechtsbegriffe „unangemessen“ und „unmittelbar“ lassen allerdings Interpretationsspielraum zu, um übliches Geschäftsgebaren von anfechtungswürdigen Handlungen zu trennen. Vieles bleibt damit leider weiterhin den Gerichten vorbehalten, die bislang sehr rigide mit üblichen Ratenzahlungen und Stundungen umgegangen sind. Dennoch ist die Neujustierung erfreulich und ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Kleingedruckte in Anfechtungsversicherungen
Es bleiben aber doch Zweifel, ob die Anfechtungsversicherung in diesen Fällen wirklich greift. Immerhin liegen die Fälle, in denen eine Vorsatzanfechtung realistisch ist, so, dass der Gläubiger sehenden Auges eine Benachteiligung in Kauf nimmt. Hier ist ein genauer Blick in die Anfechtungsversicherung ratsam, damit nicht gerade dieser typische Extremfall wegen Vorsatz des Versicherungsnehmers ausgeschlossen ist.
Elementar ist, dass die von uns eingesehenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen keinen Versicherungsschutz bei sog. „drohender Zahlungsunfähigkeit“ des Kunden des Versicherungsnehmers bieten, wobei hier eine mangelnde Bonität des betreffenden Kunden gemeint ist. Geschäfte in der Krise eines Kunden sind damit nicht versichert.
Dies schränkt mögliche Versicherungsfälle stark ein, weil letztlich nur Zahlungen des späteren Insolvenzschuldners erfasst werden, bei denen der Rechtsgrund noch in guten Zeiten gelegt wurde und die Krise erst kurz vor deren Leistung eingetreten war.
Fazit
Es ist wohl eine sorgfältige Abwägung erforderlich, um zu entscheiden, ob Unternehmen sich insbesondere vor Vorsatzanfechtungen durch Abschluss von Anfechtungsversicherungen schützen möchten. Das zu versichernde Risiko kann jedenfalls hohe Summen betreffen. Kommt es zu einer Anfechtung kann der nachträgliche Zahlungsausfall gerade bei wichtigen Vertragspartner ein beträchtliches Ausmaß erreichen. Eine Risikofreiheit ist aber nicht möglich.
Auch die Versicherung wird es dem Unternehmer daher nicht nehmen können, durch geeignete Überwachung des Forderungsmanagements, Geschäftsbeziehungen in der Krise äußerst kritisch zu unterhalten.