Das BAG hat am 20.12.2022 eine Entscheidung (Az. 9 AZR 266/20) zur Verjährung von Urlaubsansprüchen getroffen, die die Praxisrelevanz der Einhaltung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Urlaub betont.
Kontext der Entscheidung
Spätestens seit mehreren Entscheidungen des BAG vom 19.02.2019 steht fest, dass nicht genommener Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines einschlägigen Übertragungszeitraumes nicht „automatisch“ verfällt. Ein Verfall von Urlaubsansprüchen setzt vielmehr in richtlinienkonformer Auslegung des § 7 BUrlG voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür gesorgt hat, dass der Arbeitnehmer in der Lage ist, seinen Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Kommt der Arbeitgeber diesen sog. Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach, verfällt der Urlaub grundsätzlich nicht (Blog-Beitrag vom 27.01.2020).
Dies gilt nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den tarifvertraglichen und/oder arbeitsvertraglichen Zusatzurlaub, wenn keine deutlichen Anhaltspunkte für eine abweichende Regelung vorliegen. Das BAG geht grundsätzlich von einem Gleichlauf des gesetzlichen und des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs aus.
Keine „automatische“ Verjährung des Urlaubsanspruchs
Nach der Entscheidung des BAG vom 20.12.2022 tritt bei Unterlassen der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht nur kein Verfall ein – die Urlaubsansprüche verjähren auch nicht. In richtlinienkonformer Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit – der die Verjährungsvorschriften dienen – dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub zu nehmen.
Rechtliche Einschätzung
Die neue Entscheidung des BAG – die die vom EuGH aufgestellten Vorgaben berücksichtigt – unterstreicht die Bedeutung der Mitwirkungsobliegenheiten beim Urlaub. Ohne Einhaltung derselben können Arbeitnehmer nicht genommene Urlaubstage noch Jahre später einfordern. Es kann zu einer unbegrenzten Kumulation der Urlaubsansprüche kommen. Angesichts der Rückwirkung der richtlinienkonformen Auslegung gilt dies auch für die Vergangenheit – ungeachtet des Umstandes, dass der Arbeitgeber (mangels entsprechender Rechtsprechung) keine Kenntnis von seinen Obliegenheiten hätte haben können. Diskutiert wird, dass die Rechtsprechung zu den Mitwirkungsobliegenheiten – und damit auch zu der Verjährung – für Urlaubsansprüche seit dem Jahr 1996 gilt. In diesem Jahr lief die Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie ab, die Vorgaben zum Urlaub traf und deren Nachfolge-Richtlinie bei der angesprochenen Auslegung herangezogen wird.
Praxishinweise – Mitteilung an Arbeitnehmer
Arbeitgeber sollten die Entscheidung des BAG zum Anlass nehmen, gleich zu Beginn des neuen Jahres ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen. Dabei sind abstrakte Angaben (z.B. im Arbeitsvertrag oder einem Merkblatt) nicht ausreichend – zumal es einer individuellen Information über die Anzahl der Urlaubstage bedarf. Das BAG geht beispielhaft davon aus, dass eine Mitteilung in Textform vorgenommen werden kann. Richtig ist, dass grundsätzlich auch andere Arten der Information möglich sind. Da der Arbeitgeber für die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten darlegungs- und beweisbelastet ist, dürfte (jedenfalls) Textform jedoch zweckmäßig sein. Eine Standard-Mitteilung an Arbeitnehmer könnte etwa wie folgt aussehen:
„Sehr geehrter Herr Mustermann,
Ihnen stehen für das Kalenderjahr 2022 noch XX Arbeitstage Resturlaub zu. Für das Kalenderjahr 2023 stehen Ihnen noch XX Arbeitstage Urlaub zu.
Mit diesem Schreiben fordern wir Sie auf, Ihren Resturlaub für das Kalenderjahr 2022 so rechtzeitig zu beantragen, dass er bis zum 31.03.2023 genommen werden kann. Geschieht dies nicht, verfällt der dann noch bestehende Resturlaub aus 2022.
Zugleich fordern wir Sie auf, Ihren Urlaub für das Kalenderjahr 2023 so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubjahres, das heißt bis zum 31.12.2023, vollständig genommen werden kann. Geschieht dies nicht, verfällt der dann noch bestehende Urlaubsanspruch mit Ablauf des 31.12.2023. Ein Verfall tritt nur ausnahmsweise dann nicht ein, sofern dringende betriebliche Gründe oder Gründe in Ihrer Person eine Übertragung rechtfertigen. Der so ausnahmsweise übertragene Resturlaub aus dem Jahr 2023 muss dann in den ersten drei Kalendermonaten des Jahres 2024, mithin bis zum 31.03.2024, gewährt und genommen werden. Andernfalls verfällt er ersatzlos.“
Es empfiehlt sich eine sorgsame Dokumentation der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten. Wichtig ist insbesondere, dass die Mitteilung selbst und ihr Zugang bei dem jeweiligen Arbeitnehmer nachgewiesen werden kann. Hinsichtlich vergangener Jahre, in denen die Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt wurden, sollten in Anbetracht des Umstandes, dass offene Urlaubsansprüche nicht verjährt sind, zudem etwaige Dokumente, die belegen, wie viele Urlaubstage ein Arbeitnehmer (wann) genommen hat, für etwaige Rechtsstreitigkeiten aufbewahrt werden. Denn der Arbeitgeber ist für den Einwand der Erfüllung von Urlaubsansprüchen darlegungs- und beweisbelastet. Abzuwarten bleibt, ob das BAG in den noch nicht abgefassten Entscheidungsgründen des Urteils vom 20.12.2022 eine Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich Urlaubsansprüche, die weit in der Vergangenheit liegen (eine entsprechende Dokumentation zum Urlaub wird oftmals bereits vernichtet sein), annimmt.
Hinsichtlich des Urlaubs aus vergangenen Jahren, in denen die Mitwirkungsobliegenheiten nicht eingehalten wurden, besteht zwar die Möglichkeit, die Mitteilung „nachzuholen“ und den Urlaubsanspruch so zu begrenzen. Aus Arbeitgebersicht wird es allerdings regelmäßig – auch wirtschaftlich – nicht sinnvoll sein, einen Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass ihm noch Urlaub aus (weit) in der Vergangenheit liegenden Jahren zusteht (eine Ausnahme mag der Resturlaub aus dem Vorjahr bilden). Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund, dass zwar der Urlaubsanspruch (im bestehenden Arbeitsverhältnis) ohne Einhaltung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht verfällt oder verjährt, der Urlaubsabgeltungsanspruch – d.h. der Anspruch auf finanzielle Abgeltung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehenden Urlaubs – vorbehaltlich einer unseres Erachtens nicht zu erwartenden gegenteiligen Äußerung des BAG weiterhin der Verjährung und etwaigen (vertraglichen) Ausschlussfristen unterliegt.
Praxishinweise – Arbeitsvertragsgestaltung
Ein besonderes Augenmerk sollten Arbeitgeber (daher) auch auf die Arbeitsvertragsgestaltung legen. Zum einen werden an eine wirksame vertragliche Ausschlussfrist, die jedenfalls den Urlaubsabgeltungsanspruch erfassen kann, strenge Anforderungen gestellt. Zum anderen sollten Verträge hinsichtlich eines arbeitsvertraglichen Zusatzurlaubs Bestimmungen enthalten, die den angesprochenen Gleichlauf mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch verhindern. So empfiehlt es sich, in den Arbeitsvertragsmustern eine Regelung mit aufnehmen, aus der hervorgeht, dass der Verfall dieses Zusatzurlaubs nicht von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten abhängt. Geregelt werden kann beispielsweise auch, dass der vertragliche Zusatzurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht abgegolten wird.
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