Durch die neue „Brüssel-I-VO“ (Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012) ist mit Wirkung zum 10.01.2015 die Verordnung Nr. 22/2010 des Rates vom 22.12.2000 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen neu gefasst worden. Ziel der Neufassung ist es vorrangig, den freien Verkehr von Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union und den Zugang zum Recht weiter zu verbessern. Die Novelle betrifft vorrangig drei Felder:
Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen
Die bislang geltende Verordnung Nr. 44/2010 des Europäischen Rates sah vor, dass Gerichtsentscheidungen eines Mitgliedstaats der EU vor ihrer Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ein gerichtliches Verfahren (Exequatur) in dem ersuchten Mitgliedstaat durchlaufen müssen. Die lokalen Gerichte behielten damit in einem gewissen Umfang die Möglichkeit, „importierte“ Entscheidungen zu überprüfen. Dies behinderte die grenzüberschreitende Durchsetzung eines Titels nicht unerheblich und führte zu erheblichen Mehrkosten für den Rechtssuchenden.
Die Exequatur wird nunmehr abgeschafft. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind - mit wenigen Ausnahmen - nunmehr stets in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar vollstreckbar (Art. 39 VO (EU) 1215/2012). Dem Schuldner eines Titels steht allerdings die Möglichkeit offen, hiergegen die Versagung und/oder zeitweilige Aussetzung der Zwangsvollstreckung zu beantragen (Art. 46, 44 VO (EU) 1215/2012).
Torpedoklagen
Im internationalen Kontext sind „Torpedoklagen“ ein erprobtes Mittel, um unliebsame Prozesse zu verzögern. Ein Schuldner konnte hierbei einer erwarteten Klage zuvor kommen, indem er vor einem unzuständigen Gericht negative Feststellungsklage erhob, mit der er das Bestehen seiner Leistungspflicht bestreitet. Aufgrund des bislang geltenden Prioritätsgrundsatzes (Art. 27 VO (EG) 44/2001) bewirkte diese Klage, dass das später vom Gläubiger in derselben Sache angerufene zuständige Gericht das Verfahren bis zu einer Entscheidung des zuerst angerufen Gerichts auszusetzen hatte. Bis zur Unzuständigkeitsentscheidung wurde das Verfahren blockiert.
Durch die neue Verordnung sollen solche rechtsmissbräuchlichen Prozesstaktiken vermieden werden. Treffen die Parteien für den Streitfall eine Gerichtsstandsvereinbarung und hat eine Partei ein nicht vereinbartes Gericht angerufen, muss dieses Gericht zunächst aussetzen, so dass zunächst das vereinbarte Gericht die Möglichkeit hat, sich für zuständig zu erklären (Art. 31 Abs. 2 VO (EU) 1215/2012). Eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung muss nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012 schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung in einer Form, die den Gepflogenheiten oder - im Fall eines internationalen Handels - einem Handelsbrauch entspricht, geschlossen worden sein. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind ausreichend.
Die Vereinbarung eines Gerichtsstands ist vor diesem Hintergrund im internationalen Kontext noch einmal deutlich aufgewertet worden.
Klagen gegen Personen aus Drittstaaten
Die VO (EU) 1215/2012 sieht weiterhin grundsätzlich vor, dass sich bei Streitigkeiten mit Schuldnern aus einem Drittstaat - also Personen, die keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben - die Zuständigkeit der Gerichte nach dem nationalen Recht richtet (Art. 6). Es bleibt also eine gewisse Divergenz bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Personen aus Drittstaaten.
Allerdings ist es einem Kläger, der zugleich Verbraucher ist, möglich, seine Ansprüche gegen einen Schuldner aus einem Drittstaat am Gerichtsstand seines Wohnorts geltend zu machen (vgl. Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012). Auch ein Arbeitnehmer muss sich nicht an den Sitz seines Arbeitgebers verweisen lassen, sondern kann Klage am Ort der Arbeitsverrichtung oder der Niederlassung erheben (Art. 21 Abs. 2 i. V. n. 21 Abs. Buchstabe b VO (EU) 1215/2012). Weitere Sonderzuständigkeiten finden sich für Immobilien, einschließlich ihrer Miete oder Pacht, das Gesellschaftsrecht, für Registersachen und das Zwangsvollstreckungsrecht (Art. 24 VO (EU) 1215/2012). Selbstverständlich besteht überdies auch für Personen aus Drittstaaten die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung.
Übergangsregelungen
Zwar wird nach Maßgabe von Art. 80 VO (EU) 1215/2012 die alte Brüssel-I-Verordnung VO (EG) 44/2001 aufgehoben. Indes gelten die scheinbar aufgehobenen Regelungen für Altfälle weiter. Die Neuregelungen gelten nur für Verfahren, öffentliche Urkunden oder gerichtliche Vergleiche, die am 10.01.2015 oder danach eingeleitet, förmlich errichtet oder eingetragen bzw. gebilligt oder geschlossen worden sind. Für Entscheidungen, die in vor dem 10.01.2015 eingeleiteten Verfahren ergangen sind, für vor diesem Zeitpunkt förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden sowie für vor diesem Zeitpunkt gebilligte oder geschlossene gerichtliche Verfahren bleibt es bei den Regelungen der alten Brüssel-I-Verordnung.
Fazit
Die „Brüssel-I“-Novelle bringt zahlreiche begrüßenswerte Erleichterungen für grenzüberschreitende Sachverhalte. Insbesondere ist positiv zu werten, dass die Zwangsvollstreckung in Mitgliedstaaten der Europäischen Union ohne Exequatur auskommt. Allerdings gilt dies erst für Verfahren, öffentliche Urkunden oder Vergleiche, die ab dem 10.01.2015 eingeleitet, förmlich errichtet oder eingetragen bzw. gebilligt oder geschlossen worden sind.