Insbesondere im Bereich des Arbeitsschutzes sieht sich die gesamte Arbeitswelt während der aktuellen Corona-Pandemie zahlreichen neuen Herausforderungen gegenüber. Unter anderem auch, weil sich nicht alle Unternehmen in dieser schwierigen Zeit genau darüber im Klaren sind, welche Maßnahmen sinnvollerweise zu ergreifen sind, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nun am 16.04.2020 zehn Eckpunkte (abrufbar unter folgendem Link) sowie einen sechsseitigen „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“ (abrufbar unter folgendem Link) vorgestellt. Die neuen Arbeitsschutzregeln sollen branchenweit und mit sofortiger Wirkung gelten.
1. Zehn-Punkte-Plan zur Verringerung des betriebsinternen Ansteckungsrisikos
Durch die Einhaltung der vom BMAS bekanntgegebenen Arbeitsschutzstandards soll den Arbeitnehmern ermöglicht werden, ihre Arbeit möglichst sicher fortführen bzw. (zeitnah) wieder aufnehmen zu können. Darüber hinaus soll die Wirtschaft unter Beachtung des Arbeitsschutzstandards schrittweise – und möglichst ohne weitere Rückschlage – zur Vorkrisen-Leistung zurückkehren. Das BMAS hat hierzu zum einen in einem (thesenartigen und kurzen) Zehn-Punkte-Plan konkrete Anforderungen an den Arbeitsschutz mit Blick auf die Corona-Pandemie vorgestellt:
1. Der aktuelle Arbeitsschutzstandard gilt weiter und muss bei einem schrittweisen Hochfahren der Wirtschaft – in Anbetracht einer damit verbundenen Steigerung des Infektionsrisikos – um weitere betriebliche Maßnahmen ergänzt werden.
2. Die Sozialpartnerschaft im Betrieb ist zur Implementierung der notwendigen Schutzmaßnahmen in dem betrieblichen Alltag wirksam zu nutzen. Arbeitsschutzexperten sind bei der Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen einzubinden.
3. Arbeitsplätze sind grundsätzlich so zu gestalten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl in Gebäuden als auch im Freien und in Fahrzeugen einen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern zu anderen Mitarbeitern halten können.
4. Es besteht die Pflicht, Arbeitsabläufe durch geeignete organisatorische Maßnahmen so zu organisieren, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so wenig direkten Kontakt wie möglich zueinander haben.
5. Beschäftigte, die auch nur unter leichten Symptomen leiden, gehen nicht zur Arbeit, solange nicht ein etwaiger Verdacht auf das Corona-Virus durch einen Arzt abgeklärt worden ist. Zum Schutz ihrer Kollegen sind hier vor allem die Arbeitnehmer selbst gefragt.
6. Dort, wo die Einhaltung des universellen Sicherheitsabstands von 1,5 Metern durch eine Trennung von Schutzscheiben nicht möglich ist, hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass Nase-Mund-Bedeckungen für die Arbeitnehmer sowie für die Kunden und die Dienstleister zur Verfügung gestellt werden.
7. Weiterhin müssen die Betriebe für zusätzliche Hygienemaßnahmen sorgen, indem sie u.a. Waschgelegenheiten und Desinfektionsspender bereitstellen und Arbeitsräumlichkeiten und –mittel in kurzen Intervallen reinigen lassen.
8. Arbeitnehmer sollen eine freiwillige arbeitsmedizinische Vorsorge beim Betriebsarzt nutzen, um beurteilen zu können, ob sie möglichweise einer Risikogruppe angehören. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber dann die erforderlichen individuellen Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
9. Durch Erarbeitung einer betrieblichen Routine zur Pandemievorsorge und Kooperation mit den örtlichen Gesundheitsbehörden stellt der Betrieb sicher, dass im Falle einer erkannten Infektion zeitnah und angemessen reagiert werden kann.
10. Aufgabe von Führungskräften ist es, an den einzelnen Arbeitsorten alle zusätzlichen betrieblichen Infektionsschutzmaßnahmen und Hinweise verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren, gegebenenfalls zu erproben und einzuüben.
2. „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“ mit detaillierteren Vorgaben
Ausführlicher als der thesenartige Zehn-Punkte-Plan ist der ebenfalls vom BMAS bekanntgegebene, sechsseitige SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard, der unter anderem auch konkrete „zusätzliche Maßnahmen zum Infektionsschutz vor SARS-CoV-2“ vorstellt.
Der Maßnahmenkatalog unterscheidet dabei zwischen
und stellt die jeweils in Betracht kommenden Maßnahmen genauer vor. In dem Papier wird auch (nochmals) darauf hingewiesen, dass davon auszugehen ist, dass die Pandemie voraussichtlich noch für einen längeren Zeitraum eine Herausforderung für den Infektionsschutz bei der Arbeit darstellen wird, und betont, dass das BMAS eine bundesweite und branchenübergreifend einheitliche Vorgehensweise weiter koordinieren wird.
3. Bedeutung für die Praxis
Die von dem BMAS aufgestellten Vorgaben sind für alle Unternehmen verbindlich und daher insbesondere auch bei den jeweiligen Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 ArbSchG zu berücksichtigen (vgl. zur Pflicht zur fortlaufenden Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilungen bereits unseren Blogbeitrag vom 24.03.2020). Dabei zeigt die Lektüre des Eckpunkteplans und des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards insbesondere, dass grundsätzlich auch betriebsintern sichergestellt werden muss, dass ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann (und auch eingehalten wird). Ist dies nicht möglich, muss das Ansteckungsrisiko anderweitig minimiert werden.
Je nach umzusetzender Maßnahme sind die entsprechenden internen Regelungen und Betriebsvereinbarungen anzupassen oder neu auszuhandeln, beispielsweise zu Arbeitszeiten, Zugangskontrollen und Home Office. Dabei müssen Unternehmen mit Betriebsräten genau prüfen, bei welchen Maßnahmen der Betriebsrat zu beteiligen ist.
Besonders die geforderten Verfahren zur raschen Aufklärung von Verdachtsfällen können arbeits- und datenschutzrechtliche Probleme bereiten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält z. B. eine kontaktlose Fiebermessung durch den Arbeitgeber für notwendig. Eine solche Aufklärung und insbesondere die vom Arbeitgeber zu dokumentierende Anweisung an den Arbeitnehmer, das Betriebsgelände zu verlassen, stellt eine Verarbeitung seiner Gesundheitsdaten dar. Dies ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 EU Datenschutz-Grundverordnung möglich. Insbesondere sollten Unternehmen daher prüfen, ob die besonderen datenschutzrechtlichen Anforderungen eingehalten werden, und gegebenenfalls eine Betriebsvereinbarung zur Durchführung dieser Maßnahmen abschließen. Anlasslose Kontrollen des Arbeitgebers sind im Regelfall nicht gerechtfertigt. Das kann sich dann anders darstellen, wenn Corona-Erkrankungen im Betrieb aufgetreten sind. In jedem Fall sollten Unternehmen bei der Einführung dieser Maßnahmen auch den eigenen Datenschutzbeauftragten konsultieren.
Bislang eher „nachlässige“ Unternehmen sollten mit Blick auf die neuen Arbeitsschutzvorgaben berücksichtigen, dass die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) die einheitlichen Mindeststandards begrüßt und als verbindlich anerkannt hat. Der Spitzenverband der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, Berufsgenossenschaften und Unfallkassen hat nach der Bekanntgabe auch publik gemacht, dass er gegen solche Betriebe, die „hygienische Mindeststandards unterlaufen und dadurch die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten und Dritter gefährden“, einschreiten wird (hierzu die Pressemitteilung der DGUV).
Arbeitgeber sollten sich daher lieber heute als morgen dem Eckpunkteplan und den neuen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards widmen und sorgfältig evaluieren, wie sie ihre Mitarbeiter bestmöglich vor dem Coronavirus schützen können.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit arbeits-, arbeitsschutz- und/oder datenschutzrechtlichen Themen aufgrund des Coronavirus? Sprechen [oder mailen] Sie uns gerne an!