Bereits am 01.05.2012 ist das „Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen“ („TVgG NRW“) in Kraft getreten, welches unter anderem Vorschriften enthält über die umweltfreundliche und energieeffiziente Beschaffung, die Berücksichtigung sozialer Kriterien bei der Auftragsvergabe und die Verpflichtung der Auftragnehmer zur Durchführung von Maßnahmen zur Förderungen von Frauen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Ausformung der mit diesen Vorgaben verbundenen konkreten Anforderungen an das Vergabeverfahren bleibt dabei allerdings einer durch die Landesregierung im Einvernehmen mit dem für Wirtschaft zuständigen Ausschuss des Landtags erlassenen Rechtsverordnung überlassen. Mittlerweile liegt der Entwurf einer solchen „Verordnung Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen“ („RVO TVgG NRW“) vor, der am 16.01.2013 im Wirtschaftsausschuss beraten wurde. Entgegen der ursprünglichen Planung wurde das Einvernehmen des Ausschusses nicht hergestellt und stattdessen die Durchführung einer Sachverständigenanhörung beschlossen, die nun am 25.02.2013 erfolgen soll. Auch wenn die Rechtsverordnung somit nicht wie geplant am 01.03.2013 in Kraft treten kann, ist aber mit ihrem zeitnahen Inkrafttreten zu rechnen.Zudem sollen keine Übergangsfristen für die Umsetzung der neuen Verfahrensvorgaben gelten. Bieter wie Auftraggeber müssen sich daher zeitnah mit dem Erlass auseinandersetzen. Im Einzelnen sind in der aktuellen RVO TVgG NRW folgende Regelungen vorgesehen:
Allgemeine Ausführungsbestimmungen
Die RVO TVgG NRW enthält in ihrem ersten Abschnitt zunächst einige allgemeine Ausführungsbestimmungen, wie Vorgaben zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich. An dieser Stelle wird noch einmal betont, dass alle öffentlichen Auftraggeber nach § 98 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) – und damit auch die kommunal und öffentlich dominierten Unternehmen – zur Anwendung des TVgG NRW verpflichtet sind, und zwar unabhängig davon, ob der zu vergebende Auftrag den Schwellenwert überschreitet. Mit der RVO TVgG NRW wird allerdings auch noch einmal klargestellt, dass sich aus dem TVgG NRW keine Verpflichtung zur Anwendung des Unterschwellenvergaberechts der VOB/A und VOL/A ergibt. Zudem werden in Einschränkung der Vorgaben des TVgG NRW Bagatellbeschaffungen bis zu einem Wert von 500,00 Euro ohne Umsatzsteuer vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen.
Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz
Der nächste Abschnitt der Rechtsverordnung beschäftigt sich mit der Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz im Vergabeverfahren. Danach soll von öffentlichen Auftraggebern auch bei Unterschwellenvergaben entsprechend den §§ 4 Abs. 5 Nr. 1 und 6 Abs. 3 Nr. 1 VgV regelmäßig das „höchste Leistungsniveau an Energieeffizienz“ gefordert werden, wobei Ausnahmen bei einer entsprechenden Begründung möglich sind. Die Verordnung enthält außerdem Vorgaben für umweltverträgliches und nachhaltiges Bauen sowie Sonderregeln für die Beschaffung von Recycling-, Papier- und Holzprodukten sowie von Entsorgungsdienstleistungen. Sofern energieverbrauchsrelevante Waren, technische Geräte oder Ausrüstungen – das heißt nach der Definition der RVO TVgG NRW „energieverbrauchsrelevante Produkte“ – bei der Leistung eine Rolle spielen, sind außerdem auch unterhalb der Schwellenwerte zukünftig von den Bietern Angaben zum Energieverbrauch zu fordern. Unter bestimmten Umständen soll zudem eine Lebenszykluskostenanalyse durchgeführt werden. Der öffentliche Auftraggeber hat dann bei seiner Zuschlagsentscheidung die Vorgaben der Energieeffizienz angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll bereits während der dem Vergabeverfahren vorgelagerten Bedarfsanalyse geprüft werden, ob neben den üblichen Beschaffungsoptionen auch eine umweltfreundliche und energieeffiziente Systemlösung zur Erreichung der Bedarfsdeckung beim öffentlichen Auftraggeber führen kann und eine solche Systemlösung gegebenenfalls wirtschaftlicher ist und zu weniger Umweltbeeinträchtigungen führt. Darüber hinaus hat der öffentliche Auftraggeber zukünftig in der Regel Nebenangebote zuzulassen, wenn besonders umweltfreundliche und energieeffiziente Varianten in Betracht kommen.
Berücksichtigung von sozialen Aspekten im Vergabeverfahren
In einem weiteren Abschnitt der Verordnung wird erläutert, unter welchen Voraussetzungen die öffentlichen Auftraggeber soziale Kriterien als Zuschlagskriterien berücksichtigen können. Die RVO TVgG NRW konkretisiert weiterhin die einzuhaltenden Verfahrensanforderungen in Hinblick auf die gesetzlich vorgegebene Zusicherung zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen. Die Bieter haben hierzu eine Verpflichtungserklärung abzugeben, die sowohl Waren, die noch herzustellen oder zu beschaffen sind, als auch bereits beschaffte (Lager-)Waren erfasst. Zunächst müssen die Bieter danach zukünftig mit dem Angebot angeben, ob für den Auftrag sogenannte „sensible Produkte“ verwendet werden. Hierzu zählen unter anderem Bekleidung, Stoffe und Textilwaren oder Büromaterialien, die die Rohstoffe Holz, Gesteinsmehl und Kautschuk enthalten sowie Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie (Hardware). Ist eine der in der Verordnung aufgeführten Produktkategorien einschlägig, so geht die Verordnung davon aus, dass die Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen zu befürchten ist, wenn die betroffenen Produkte in einem der Länder hergestellt oder gewonnen worden sind, die in der jeweils zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe geltenden und von der OECD herausgegebenen Liste der Entwicklungs- und Schwellenländer (DAC-Liste der „Entwicklungsländer und -gebiete“) aufgeführt sind. Maßgeblich soll dabei die Verarbeitungsstufe des Produktes sein, in dem dieses in die Europäische Union eingeführt wird. Dies bedeutet, dass zum Beispiel bei einer Beschaffung von Hardware ein Verstoß gegen ILO-Kernarbeitsnormen durch den Zulieferer eines einzelnen Bauteils kein Verfahrenshindernis im Vergabeverfahren darstellen soll.
Werden sensible Produkte beschafft und stammen diese aus einem Land der DAC-Liste, so muss der Bieter durch ein Siegel, ein Zertifikat oder ein vergleichbares Dokument den Nachweis erbringen, dass die von ihm eingesetzten Produkte ohne Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind. Alternativ kann er erklären, dass er sich vergewissert hat, dass die Produkte ohne Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind oder dass im Unternehmen wirksame Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Verwendung von Produkten zu vermeiden, die unter Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind. Der Verweis darauf, dass der Bieter unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entsprechend § 347 HGB davon ausgehe, dass die in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards bei der Gewinnung oder Herstellung der Waren beachtet wurden, soll demgegenüber in den sensiblen Produktkategorien nur noch dann möglich sein, wenn die Produkte nicht aus den Ländern der DAC-Liste stammen.
Berücksichtigung von Aspekten der Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Schließlich konkretisiert die RVO TVgG NRW die Anforderungen an die vom Gesetz geforderte Förderung von Frauen sowie der Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dabei enthält die RVO TVgG NRW 15 verschiedene Maßnahmen, die bei der Auftragsdurchführung im Unternehmen umgesetzt werden können. Hierzu zählen beispielweise die Befragung von Beschäftigten zu ihren Arbeitszeitwünschen mit einer Auswertung und einer sich anschließenden Einleitung von Umsetzungsschritten oder die Unterstützung bei der Suche nach Kinderbetreuungs- und Pflegemöglichkeiten. Zur Frauenförderung zählen zudem die explizite Ermutigung von Frauen, sich zu bewerben, wenn im Betrieb Ausbildungs- und Arbeitsplätze in männerdominierten Berufsbereichen zu besetzen sind, und eine Analyse der Entwicklung der Leistungsvergütung in den letzten 5 Jahren nach Geschlecht. Bei sämtlichen Beschaffungen mit einem Auftragswert von mindestens 50.000,00 Euro bzw. 150.000,00 Euro im Baubereich müssen Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20, aber nicht mehr als 250 Beschäftigten, zukünftig die Umsetzung von zwei der in der Verordnung aufgeführten 15 Maßnahmen verbindlich zusichern. Unternehmen mit regelmäßig mehr als 250, aber nicht mehr als 500 Beschäftigten müssen drei Maßnahmen, Unternehmen mit regelmäßig mehr als 500 Beschäftigten vier Maßnahmen auswählen und umzusetzen. Die Bieter sind verpflichtet, die durchgeführten bzw. eingeleiteten Maßnahmen zu dokumentieren, mindestens ein Jahr aufzubewahren, im Unternehmen zu veröffentlichen und ihre Einhaltung auf Verlangen des öffentlichen Auftraggebers nachzuweisen. Kommen sie ihren Pflichten nicht nach, drohen Vertragsstrafen oder gar eine Vertragskündigung.
Muster für die Verpflichtungserklärungen und ergänzenden Vertragsbedingungen
Der RVO TVgG NRW sind abschließend mehrere Anlagen beigefügt, die Muster für die nach der RVO TVgG NRW erforderlichen Verpflichtungserklärungen und besonderen Vertragsbedingungen enthalten. Dabei sind die bereits mit dem Runderlass „Übergangsregeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge nach Inkrafttreten des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen“ vom 17.04.2012 veröffentlichten Muster um die neu gefasste Verpflichtungserklärung zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen und eine komplett neue Verpflichtungserklärung zur Frauenförderung und Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergänzt worden.
Weiterer Verfahrensablauf
Die Rechtsverordnung kann erst in Kraft treten, wenn der Ausschuss des Landtages für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk sein Einvernehmen erklärt. Nach der Sachverständigenanhörung am 25.02.2013 wird der Wirtschaftsausschuss erneut beraten. Sollte er dann sein Einvernehmen erklären, wird die Rechtsverordnung ohne Übergangsbestimmungen frühestens am 01.04.2013 oder – je nach Ablauf des Verfahrens – auch später in Kraft treten. Dem Vernehmen nach soll bis dahin außerdem zur Anwendungserleichterung noch eine zusätzliche Handlungshilfe veröffentlicht werden.
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