Die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs gilt auch in der Coronakrise als gesichert. Dennoch führen Hamsterkäufe seit Tagen zu – zeitweise – leeren Regalen in den Supermärkten. Um Versorgungsengpässe zu verhindern, haben die Bundesländer bereits das Sonn- und Feiertagsfahrverbot zeitweise gelockert (vgl. Übersicht des Bundesamtes für Güterverkehr („BAG“) vom 23.03.2020, Link). Auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur („BMVI“), das BAG und Landesbehörden haben an mehreren Stellschrauben gedreht. Wir geben einen Überblick.
Eingeschränkte Verfolgung und Ahndung von Verstößen gegen das Güterkraftverkehrsrecht
Der grenzüberschreitende gewerbliche Güterkraftverkehr ist auf europäischer Ebene insbesondere in der Verordnung (EG) 1072/2009 geregelt. Deren Kapitel III enthält Regelungen für die Durchführung der Kabotage, also der innerstaatlichen Beförderung gebietsfremder EU-/EWR-Unternehmer. Möglichkeiten, für bestimmte Beförderungsfälle von den Kabotage-Vorschriften abzuweichen, sind jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen.
Das BMVI nimmt aber nun angesichts der Herausforderungen der Coronakrise eine teleologische Reduktion dieser Vorschriften vor. In einem Schreiben vom 18.03.2020 (Az. StV 13 / 7372.1/3) (abrufbar auf der Webseite der IHK Ulm, Link) an die nach dem Güterkraftverkehrsgesetz zuständigen Kontrollbehörden zieht das BMVI eine Ausnahmeregelung in der Verordnung (EG) 1072/2009 entsprechend heran, die nicht die Kabotage betrifft, sondern von den Erfordernissen einer Gemeinschaftslizenz und einer Beförderungsgenehmigung befreit. Diese Ausnahme greift u. a. ein für Güter, die zur Hilfsleistung in dringenden Notfällen (insbesondere bei Naturkatastrophen) bestimmt sind (vgl. Art. 1 Abs. 5 lit. e der Verordnung (EG) 1072/2009 sowie § 2 Abs. 1 Nr. 5 Güterkraftverkehrsgesetz („GüKG“)).
In (entsprechender) Anwendung dieser Ausnahme bittet das BMVI die zuständigen Behörden, bis zum 30.09.2020 von der Verfolgung und Ahndung güterkraftverkehrsrechtlicher Verstöße in Bezug auf die Genehmigungspflicht und die Kabotage-Vorschriften abzusehen. Dafür müssen allerdings die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
Schließlich ist zu beachten, dass das BMVI in dem genannten Schreiben lediglich eine Bitte gegenüber den zuständigen Behörden ausspricht, an die diese Behörden nicht gebunden sind. Ob die zuständigen Behörden dieser Bitte im Einzelfall nachkommen werden, ist nicht gesichert. Zudem ist bei Grenzübertritten in andere EU-Länder zu beachten, dass dort möglicherweise keine vergleichbaren Lockerungen der an sich geltenden unionsrechtlichen Vorschriften existieren.
Lockerung der Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr
Die flächendeckende Verfügbarkeit von Waren des täglichen Bedarfs, von Gütern zur medizinischen Versorgung und von Treibstoffen will das BMVI zudem mit einer Lockerung der Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr sicherstellen. Hierfür gelten nach einem weiteren Schreiben des BMVI vom 18.03.2020 (Az. StV 13 / 7376.5) (ebenfalls abrufbar auf der Webseite der IHK Ulm, Link) vorübergehend bis einschließlich 17.04.2020 Ausnahmen von den Sozialvorschriften im Straßenverkehr.
Die Ausnahmen gelten für Fahrerinnen und Fahrern, die die bereits genannten Waren des täglichen Bedarfs (insbesondere Lebens- und Futtermittel) zwischen Produktions-, Lager- und Verkaufsstätten oder Güter der medizinischen Versorgung sowie zur Bewältigung des SARS-CoV-2-Pandemie oder Treibstoffe befördern. Diesen Fahrerinnen und Fahrern ist es nunmehr gestattet,
Diese beiden Ausnahmen sind jedoch stets daran geknüpft, dass die Verkehrssicherheit durch deren Inanspruchnahme nicht beeinträchtigt wird. Insoweit ist vor Antritt der Fahrt sicherzustellen, ob die Fahrerin oder der Fahrer tatsächlich in der Lage ist, die Beförderung durchzuführen. Schließlich ist auch hier im Falle des Grenzübertritts in andere EU-Länder zu beachten, dass diese nicht zwingend die vorgenannten, in Deutschland geltenden Ausnahmen von den an sich geltenden unionsrechtlichen Vorgaben zu Lenk- und Ruhezeiten vorsehen.
Erleichterungen bei der „Schlüsselzahl 95“
Auch das BAG hat Lockerungen im Vollzug angekündigt, um den Herausforderungen der Coronakrise zu begegnen: Es verzichte bis einschließlich 17.04.2020 beim Einsatz von Fahrern ohne gültige Berufskraftfahrer-Qualifikation (Schlüsselzahl 95 des Führerscheins) auf Beanstandungen (vgl. Mitteilung des BAG vom 20.03.2020, Link). Damit soll sichergestellt werden, dass Güter zur medizinischen Versorgung und Waren des täglichen Bedarfs im erforderlichen Umfang bereitgestellt werden können. Zudem soll dem hohen Bedarf an Fahrerinnen und Fahrern Rechnung getragen werden.
Darüber hinaus wird zu beachten sein, wie die zuständigen Länderbehörden angesichts der Coronakrise das Berufskraftfahrerqualifizierungsrecht und das Fahrerlaubnisrecht handhaben werden. So sollen etwa im Freistaat Bayern – in dem am 16.03.2020 der Katastrophenfall festgestellt wurde – Lockerungen im Vollzug der FahrerlaubnisVO gelten. In einem gemeinsamen Schreiben der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Sport und Integration sowie für Wohnen, Bau und Verkehr vom 18.03.2020 (Az. C4-3615-9-4365) (abrufbar auf der Webseite der IHK Bayreuth, Link) werden als Maßnahmen genannt:
In beiden genannten Fällen muss der jeweilige Antragsteller glaubhaft erklären, dass die anstehende Weiterbildung bzw. die ärztliche Untersuchung nur deshalb nicht erfolgt ist/sind, weil in zumutbarer Entfernung keine Kurse/Untersuchungen (mehr) angeboten werden. Ferner dürfen sich aus der Fahrerlaubnisakte keine Hinweise auf Vorerkrankungen bzw. sonstige Eignungsbedenken ergeben.
Weitere Flexibilisierungen für die Güterlogistik?
Neben den genannten hat Bundesverkehrsminister Scheuer weitere Maßnahmen angekündigt, um Versorgungsengpässe zu verhindern. So sollen nach mehreren Meldungen Logistikzentren künftig 24 Stunden am Tag öffnen können. Auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit soll in Regierungskreisen thematisiert werden. Bundesverkehrsminister Scheuer sei zudem in Gesprächen mit Kommunalverbänden über eine Lockerung der Nachtzulieferung von 22 Uhr bis 6 Uhr (vgl. Meldung in der Verkehrsrundschau, Link). Ob und falls ja, welche Flexibilisierungen insoweit noch getroffen werden, bleibt abzuwarten.
Corona EU-Grenzmanagementmaßnahmen: „Green Lanes“ für die Güterbeförderung und Abfallverbringung
Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten nachdrücklich aufgefordert, im Rahmen der Leitlinien für Grenzmanagementmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Waren und wesentlichen Dienstleistungen (C(2020) 1753 final) so genannte „Green Lanes“ umzusetzen, damit die Lieferketten aufrechterhalten werden und der Binnenmarkt für Waren auch weiterhin reibungslos funktioniert, s. Mitteilung vom 24.03.2020 (Abl. C 96 I vom 24.3.2020, S. 1).
Die Mitteilung enthält auch weitere Empfehlungen für Fahrer, relevante verkehrsbezogene Unternehmen und zuständige Behörden im Güterverkehr im Zusammenhang mit dem COVID-19-Ausbruch.
Die in der Mitteilung enthaltenen Grundsätze für die Beförderung von Waren gelten sinngemäß auch für die Verbringung von Abfällen. Die weitere Umsetzung dieser Empfehlungen in Deutschland, soweit nicht bereits erfolgt, bleibt abzuwarten.
(Noch) in weiter Ferne: Verkehrsleistungen per Verpflichtungsbescheid
Derzeit trotz der angespannten Situation durch die Coronakrise in weiter Ferne, aber grundsätzlich denkbar ist im Bereich von Verkehrsleistungen ein Rückgriff der Behörden auf das Verkehrsleistungsgesetz („VerkLG“). Danach können Erbringer von Verkehrsleistungen (Unternehmer) durch Verpflichtungsbescheid dazu verpflichtet werden, Leistungen und Nebenleistungen zur Verfügung zu stellen. Darunter fallen etwa einmalige oder wiederkehrende Beförderungen von Gütern oder gar die Überlassung von Verkehrsmitteln und -anlagen. Gleichwohl dürfen solche Leistungen nur angefordert werden, wenn das BMVI entschieden bzw. die Bundesregierung durch Beschluss festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des VerkLG vorliegen.
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