Das Kammergericht hat sich in seinem Beschluss vom 27.06.2022 (Verg 4/22, abrufbar unter folgendem Link) mit der Frage auseinandergesetzt, ob es Ausnahmen von dem vergaberechtlichen Grundsatz gibt, dass die Bewertungsmethode vor Angebotsöffnung festgelegt und dokumentiert sein muss. Die entsprechenden Erwägungen des Vergabesenats wollen wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten…
Was war passiert?
Der Auftraggeber schieb Projektsteuerungsleistungen für ein Bauprojekt aus. In den Vergabeunterlagen waren vier Zuschlagskriterien nebst Gewichtung (3 x 30 % + 1 x 10 %) aufgeführt. Die spätere Antragstellerin und der spätere Beigeladene gaben jeweils fristgerecht ein Angebot ab.
Die Angebote sollten zu den jeweiligen Kriterien mit den Noten von 5 (sehr gut) bis 0 (keine verwertbaren Angaben) bewertet werden und dann das Angebot den Zuschlag erhalten, welches unter Berücksichtigung der Kriterien und Wichtungen den insgesamt höchsten Punktwert erreicht. Die Bewertung sollte durch ein Gremium von fünf fachkundigen Mitarbeitern durchgeführt werden, wobei jeder dieser Mitarbeiter zunächst eine eigenständige Benotung durchführen sollte.
Aus den nicht vollständig übereinstimmenden Einzelnoten der Gremienmitglieder errechnete der Auftraggeber sodann jeweils einen Durchschnittswert mit einer Nachkommastelle, und zwar mit dem Ergebnis, dass der Beigeladene das wirtschaftlichste Ergebnis abgegeben hatte und den Zuschlag erhalten sollte.
Nachdem die Antragstellerin dies gerügt hatte, weil nach den Vergabeunterlagen nur gerade Notenstufen vorgesehen gewesen seien, rundete der Auftraggeber die Noten nach DIN-Vorgaben. Nunmehr war im Ergebnis das Angebot der Antragstellerin das wirtschaftlichste und seitens des Auftraggebers beabsichtigt, den Zuschlag auf dieses zu erteilen.
Hiergegen wandte sich nun der Beigeladene mit dem Argument, eine Rundung sei unzulässig, weil es hier an einer Gesamtwertung des von dem Auftraggeber berufenen Gremiums fehle.
Der Auftraggeber folgte dieser Argumentation, kassierte sein Zuschlagsabsichtsschreiben an die Antragstellerin ein und erklärte, die Angebote müssten nochmals von dem Gremium einer Gesamtbewertung unterzogen werden. Da ein Mitglied dauerhaft erkrankt sei, sei eine vollständige Neubewertung durch ein neu zu besetzendes Gremium erforderlich, das dann auf der Grundlage der neuen Einzelbewertung eine Gesamtbewertung mit einer geraden Notenstufe vorzunehmen habe.
Daraufhin rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Neubewertung. Die durch die Rundung der Einzelwertungen ermittelte Gesamtwertung sei nicht zu beanstanden und der Auftraggeber hieran gebunden.
Nachdem der Auftraggeber der Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin bei der VK Berlin erfolglos einen Vergabenachprüfungsantrag. Anschließend verfolgte sie ihre Interessen mit der sofortigen Beschwerde zum KG weiter.
Ohne Erfolg!
Entscheidung des KG: Es ist nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, dass der Auftraggeber die Angebote einer neuen Bewertung durch das von ihm eingesetzte Gremium nach vorher von ihm festgelegten Regeln zur Wertung unterzieht!
Während nach den Vorgaben des § 127 GWB Zuschlagskriterien, auch Unterkriterien, und deren Gewichtung in der Ausschreibung oder den Vergabeunterlagen bekannt gemacht und mithin festgelegt werden müssten, gelte dies, so die Feststellung des KG unter Berufung auf die vergaberechtliche Rechtsprechung, nicht für die Bewertungsmethode, sofern sie die festgelegten Zuschlagskriterien nicht ändere, sie nichts enthalte, was die Vorbereitung des Angebots beeinflussen könne und keine Diskriminierung zu besorgen sei. Soweit der öffentliche Auftraggeber allerdings die Bewertungsmethode in der Ausschreibung oder den Vergabeunterlagen bekannt gemacht habe, etwa ein Punktesystem zur Bewertung der einzelnen Kriterien, sei er hieran gebunden und eine Abweichung davon vergaberechtswidrig, nämlich unvereinbar mit Transparenzgebot und Gleichbehandlungsgrundsatz. Zudem habe er zur Vermeidung jeglicher Gefahr der Parteilichkeit, soweit möglich vor Öffnung der Angebote eine Bewertungsmethode festzulegen.
Zunächst habe die ursprünglich beabsichtigte Rundung nicht im Widerspruch zu der bekannt gegebenen Bewertungsmethode gestanden. So habe der Auftraggeber für die einzelnen Zuschlagskriterien Punkte von 0 bis 5 vergeben wollen, woran er wegen der entsprechenden Festlegung in den Vergabeunterlagen gebunden sei. Die dort beschriebenen Voraussetzungen für die einzelnen Notenstufen seien nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont der angesprochenen Unternehmen so zu verstehen, dass nur ganze Noten vergeben werden könnten und sollten. Eine Bildung von Zwischenwerten, wie sie der Auftraggeber zunächst als Durchschnitt der Einzelbewertungen der Mitglieder des von ihm eingesetzten Gremiums vorgenommen, dann aber widerrufen habe, sei deswegen unzulässig. Dagegen habe die daraufhin von ihm vorgenommene Rundung der Durchschnittswerte nach kaufmännischen Rundungsregeln nicht gegen die vorgesehene Punktevergabe verstoßen. Denn damit hätten gerade glatte Punktwerte ermittelt werden können. Außerdem lasse sich den Angaben in den Vergabeunterlagen auch nicht entnehmen, dass so nicht vorgegangen werden könne. Insbesondere müsse die Verwendung von Rundungsregeln nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH nicht in der Ausschreibung oder den Vergabeunterlagen bekannt gegeben werden. Dass eine Rundung eines aus den Einzelbewertungen der Mitglieder des Wertungsgremiums gebildeten Durchschnittswertes das Ergebnis unzulässig verfälsche, lasse sich jedenfalls bei dem vom Auftraggeber verwendeten Punktsystem mit fünf Notenstufen und der von ihm vorgesehenen Gewichtung der Zuschlagskriterien nicht feststellen.
Allerdings sei das vom Auftraggeber beabsichtigte Vorgehen mit dem vergaberechtlichen Transparenzgebot und Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar. Der Auftraggeber habe nämlich offenkundig bei seiner Entscheidung, die Punktevergabe durch ein Gremium von fünf Mitgliedern vorzubereiten, keine klaren Vorgaben dazu getroffen, wer genau die Gesamtwertung über die Punkte zu treffen habe – das Gremium oder die einzelnen Mitglieder – und wie mit abweichenden Einzelwertungen der Gremienmitglieder umzugehen sei. Auch die Vergabeakten enthielten keinen Vermerk über die Arbeitsweise des Gremiums. Der Auftraggeber habe sich vielmehr erst auf die Rügen der Antragstellerin und des Beigeladenen nach Vorliegen der zu den einzelnen Kriterien abweichenden Einzelbewertungen der Gremienmitglieder damit befasst, nach welchen Regeln er eine Gesamtbewertung ermitteln könnte. Damit sei das Verfahren zur Ermittlung der Gesamtbewertung der Kriterien weder vorgegeben noch dokumentiert. Dadurch sei nach den Einzelbewertungen der Gremienmitglieder ein dem Transparenzgebot und Gleichheitsgrundsatz nicht genügender Entscheidungsspielraum des Auftraggebers für die Angebotswertung entstanden. So habe er grundsätzlich nach Vorliegen der Einzelbewertungen der Gremienmitglieder für die Zuschlagskriterien zu glatten Punktzahlen durch die Anwendung von Rundungsregeln gelangen können, wenn diese im Durchschnitt keine ganze Notenstufe ergeben sollten; alternativ sei es denkbar, dass er dem Gremium aufgegeben hätte (wobei er dem Gremium aufgrund seiner Organisationsgewalt insoweit Vorgaben hätte machen können), sich auf eine glatte Punktzahl als Gesamtbewertung zu einigen, sei es aufgrund einer Mehrheitsentscheidung des Gremiums, sei es aufgrund einer von dem Gremium selbst angewandten Rundungsregel. Damit habe er es aber auch in der Hand gehabt, nach Belieben und damit willkürlich bei bereits vorliegenden Einzelbewertungen in den Wertungsvorgang mit unterschiedlichem Ergebnis bei der Gesamtbewertung einzugreifen.
Da sein bisheriges Vorgehen zur Wertung der Angebote vergaberechtswidrig gewesen sei, habe der Auftraggeber von der bisherigen Bewertung der Angebote Abstand nehmen und eine Neubewertung durch das von ihm zur Wertung vorgesehene Gremium einleiten dürfen. Denn dem öffentlichen Auftraggeber stehe es immer frei, von Amts wegen ein als vergaberechtswidrig erkanntes Vorgehen zu berichtigen. Werde ein solches Vorgehen fristgerecht von einem Beteiligten – wie hier durch den Beigeladenen – gerügt, sei er hierzu sogar verpflichtet. Insoweit sei auch nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren nicht insgesamt aufgehoben habe. Zwar sei er grundsätzlich gehalten gewesen, bereits vor der Öffnung der Angebote eine transparente, dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügende, in den Vergabeakten hinreichend dokumentierte Bewertungsmethode festzulegen. Da vorliegend aber bei einer vollständigen Neubewertung der Angebote durch ein neu zu besetzendes Gremium mit hinreichend konkreten, willkürfreien und vor der Wertung zu dokumentierten Vorgaben, die im Einklang mit den in der Ausschreibung und Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben stünden, eine transparente und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Bewertung der Angebote noch möglich erscheine, sei hier ausnahmsweise eine Festlegung der Bewertungsmethode auch nach Vorliegen der Angebote noch vergaberechtskonform und eine Aufhebung nicht zwingend geboten.
Fazit
Aus der Entscheidung des KG folgt, dass das Transparenzgebot und der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordern, dass der Auftraggeber für die Angebotswertung grundsätzlich vor Öffnung der Angebote eine in den Vergabeakten hinreichend dokumentierte Bewertungsmethode festlegt.
Erscheint aber bei einer vollständigen Neubewertung der Angebote eine transparente und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Bewertung der Angebote noch möglich, ist ausnahmsweise eine Festlegung der Bewertungsmethode auch nach Öffnung der Angebote noch vergaberechtskonform und eine Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zwingend geboten.
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