Viele Unternehmen befinden sich seit Monaten in Kurzarbeit, nicht wenige werden dies vermutlich noch auf Monate hinweg bleiben – zumal die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld bis zum 31.12.2021 verlängert wird. Auch vor dem Hintergrund, dass einige Arbeitnehmer ihren Urlaub „aufsparen“ (vornehmlich, weil beliebte Urlaubsländer Risikogebiete sind), bedarf das – rechtlich spannende – Verhältnis von Kurzarbeit und Urlaub einer näheren Betrachtung. Hierbei stellt sich regelmäßig zunächst folgende Frage: Behält der Arbeitnehmer trotz Kurzarbeit seinen vollen Anspruch auf Jahresurlaub oder führt die Kurzarbeit zu einer Verringerung dieses Anspruchs?
Entscheidung des EuGH
Während das BAG über die Frage der Auswirkungen von Kurzarbeit auf den Umfang des Jahresurlaubs eines Arbeitnehmers noch nicht entscheiden musste, war der EuGH (Urt. v. 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11) bereits mit diesem Thema befasst. Er urteilte, dass eine Kürzung des Mindesturlaubsanspruchs bei Kurzarbeit mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist. Der Kurzarbeiter sei nämlich als „vorübergehend teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer“ anzusehen.
Verfehlt wäre es jedoch, aus dieser Entscheidung abzuleiten, dass auch nach deutschem Recht eine solche Kürzung des Urlaubs zwingend möglich ist. Vielmehr betont gerade der EuGH immer wieder, dass günstigere nationale Regelungen (dies bedeutet hier: solche Regelungen, die keine Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit vorsehen) immer möglich sind.
Rechtsprechungsänderung des BAG
Das BAG ist bis zu einer Entscheidung im März 2019 davon ausgegangen, dass das Entstehen von Urlaubsansprüchen keine Arbeitspflicht voraussetze, weswegen der Urlaubsanspruch auch im ruhenden Arbeitsverhältnis entstehe. Dies hatte zur Folge, dass ein Arbeitnehmer auch bei vereinbartem unbezahlten Sonderurlaub Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub hatte. Das BAG hatte sogar angenommen, dass eine diesbezügliche Kürzung aufgrund einer tarifvertraglichen Vorschrift wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 BUrlG unzulässig sei (vgl. Urt. v. 06.05.2014 – 9 AZR 678/12).
Tatsächlich wären auch die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Kürzung des Urlaubsanspruchs (z.B. bei Elternzeit § 17 Abs. 1 BEEG und bei Pflegezeit § 4 Abs. 4 PflegeZG) überflüssig, wenn der Urlaubsanspruch ohnehin bei fehlender Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nicht entstünde.
Mit Urteil vom 19.03.2019 (Az.: 9 AZR 406/17) erklärte das Gericht, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht länger festhalte und entschied, dass die Höhe des Urlaubsanspruchs vom Umfang der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers im jeweiligen Urlaubsjahr abhängig ist. Ein Arbeitnehmer hat deshalb für Zeiten des unbezahlten Sonderurlaubs – auch ohne eine entsprechende Regelung – grundsätzlich keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Diese Grundsätze übertrug das BAG in der Folge auch auf den Fall der Altersteilzeit im Blockmodell (vgl. Urt. v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18).
Rechtliche Einschätzung
Aufgrund dieser Rechtsprechungsänderung spricht vieles dafür, dass sich der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch, der jährlich vier Wochen beträgt (d.h. 20 Tage bei einer 5-Tage-Woche), auch bei der vergleichbaren Situation der Kurzarbeit – selbst ohne explizite Kürzungsregelung – verringert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei der eingeführten Kurzarbeit – wie in aller Regel – die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers an ganzen Arbeitstagen entfällt. Auch einer Kürzung des vertraglichen Mehrurlaubs dürfte dann regelmäßig nichts entgegenstehen. Vertraglicher Mehrurlaub meint den aufgrund vertraglicher Vereinbarung vier Wochen jährlich übersteigenden Urlaub (z.B. 10 Tage, soweit einem Arbeitnehmer bei einer 5-Tage-Woche 30 Urlaubstage jährlich gewährt werden). In dem genannten Urteil zur Altersteilzeit im Blockmodell hat das BAG eine entsprechende Kürzung auch für einen vertraglichen Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers angenommen.
Die Umrechnung des Urlaubsanspruchs erfolgt anhand der vom BAG zum Sonderurlaub ermittelten Formel, welche bei 30 Urlaubstagen und einer 5-Tage-Woche wie folgt lautet: 30 x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht im Kalenderjahr ./. 260. Die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht errechnet sich dabei folgendermaßen: 260 – Anzahl der aufgrund von Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitstage.
Beispiel: Fallen für einen Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr aufgrund von Kurzarbeit insgesamt 70 Ausfalltage an, so hat er anstatt der vertraglich vereinbarten 30 Urlaubstage jährlich in diesem Jahr nur einen Anspruch auf 21,92 Urlaubstage (30 x 190 . /. 260).
Praxishinweise
Das Problematische an der Umrechnung ist verständlicherweise, dass oftmals erst am Ende des Kalenderjahres feststehen wird, wie viele Ausfalltage die Kurzarbeit in dem Kalenderjahr verursacht hat. Dementsprechend wird sich erst zu diesem Zeitpunkt die genaue Dauer des Urlaubsanspruchs ermitteln lassen. Regelmäßig dürften Arbeitgeber jedoch – jedenfalls ungefähr – einschätzen können, wie viele Ausfalltage bis zum Jahresende schlimmstenfalls noch anfallen werden. Ausgehend von dieser (pessimistischen) Einschätzung sollte der Urlaub des Arbeitnehmers anhand der genannten Formel berechnet und Urlaub – zunächst – nur in dieser Höhe gewährt werden. Sollte am Ende des Kalenderjahres feststehen, dass dem Arbeitnehmer tatsächlich ein höherer Urlaubsanspruch zusteht, so kann dieser sodann gewährt oder ggf. von dem Arbeitnehmer als Resturlaub in das Folgejahr übernommen werden.
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