Was sich nach der Entscheidung des EuGH vom 03.10.2000 zum spanischen Simap-Fall schon abgezeichnet hatte, bestätigte der EuGH nun auch der Bundesrepublik Deutschland schwarz auf weiß: Die deutsche Regelung zum Bereitschaftsdienst im Arbeitszeitgesetz verstößt gegen die EG-Arbeitszeitrichtlinie. Im noch geltenden Arbeitszeitrecht wird der Bereitschaftsdienst als solcher nicht als Arbeitszeit bewertet. Arbeitszeit ist vielmehr nur die tatsächliche Inanspruchnahme zur Arbeit während des Dienstes. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss Bereitschaftsdienst hingegen in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der EG-Arbeitszeitrichtlinie verstanden werden. Dementsprechend sieht das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vor, dass der Bereitschaftsdienst nicht mehr als Ruhezeit, sondern als Arbeitszeit eingestuft wird.
Die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH in den Rechtssachen Pfeifer u. a. (Rechtssachen C-397 – 403/03) vom 06.05.2003 lassen des Weiteren erwarten, dass der EuGH in Kürze für die Arbeitsbereitschaft ein den Bereitschaftsdienst–Entscheidungen entsprechendes Urteil fällen wird. Die Gemeinsamkeit zwischen Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft besteht darin, dass der Arbeitnehmer jeweils verpflichtet ist, am Arbeitsplatz anwesend zu sein; bei der Arbeitsbereitschaft allerdings muss sich der Arbeitnehmer ständig bereit halten und hat gewisse Kontroll- und Beobachtungspflichten, um im Bedarfsfall von sich aus tätig werden zu können. Daher wird die Arbeitsbereitschaft im Arbeitszeitgesetz in der noch geltenden Fassung bereits als Arbeitszeit behandelt. Allerdings kann die Höchstarbeitszeit, wenn Arbeitsbereitschaft regelmäßig und in erheblichem Umfang anfällt, tarifvertraglich auf mehr als zehn Stunden werktäglich ohne entsprechenden Ausgleich verlängert werden.
Reformgesetz berücksichtigt bereits zukünftige EuGH-Rechtsprechung
Das zur Arbeitsbereitschaft erwartete Urteil des EuGH berücksichtigt das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt bereits und sieht vor, dass sowohl die Arbeitsbereitschaft als auch der Bereitschaftsdienst mit ihrer vollen Zeitdauer in die Ermittlungen der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit einzubeziehen sind. Die Tarifvertragsparteien sollen die Möglichkeit erhalten, die Arbeitszeit über zehn Stunden je Werktag hinaus zu verlängern, wenn sie regelmäßig und zu einem erheblichen Teil Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst umfasst. In diesem Fall hat allerdings ein entsprechender Zeitausgleich stattzufinden, so dass die Arbeitszeit im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschreitet. Der Zeitraum, innerhalb dessen die Arbeitszeitverlängerung ausgeglichen werden muss, soll von den Tarifvertragsparteien auf bis zu zwölf Monate ausgedehnt werden können. Fällt in die Arbeitszeit regelmäßig und in einem erheblichen Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst, sollen die Tarifvertragsparteien des Weiteren vereinbaren können, dass die Arbeitszeit auch ohne Zeitausgleich über acht Stunden je Werktag hinaus verlängert werden kann; eine derartige Arbeitszeitverlängerung ohne entsprechenden Zeitausgleich soll aber nur dann erfolgen dürfen, wenn der betroffene Arbeitnehmer schriftlich einwilligt.
Das (nicht zustimmungspflichtige) Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt befindet sich, nachdem der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hat, derzeit zusammen mit den Hartz-Gesetzen zur Beratung im Vermittlungsausschuss. Der Bundesrat hat sich gegen die vorgesehenen Änderungen im Arbeitszeitgesetz ausgesprochen, da sie allein auf tarifvertragliche Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit setzten – ein Instrument, das sich in der Vergangenheit als ungeeignet erwiesen habe. Ob das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt somit wie geplant am 01.01.2004 in Kraft treten wird, bleibt abzuwarten.