Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 20. April 2021 festgestellt, die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die Deutsche Bahn (DB) und die Société Nationale des Chemins de fer belges (SNCB) gegen das EU-Kartellrecht verstoßen haben. Sie verhängte deswegen Geldbußen in Höhe von insgesamt 48 Mio. EUR.
Die Unternehmen waren an einem Kartell beteiligt, bei dem es um die Aufteilung von Kunden ging, die auf wichtigen Eisenbahnkorridoren in der EU in „Ganzzügen“ erbrachte grenzüberschreitende Schienengüterverkehrsdienste in Anspruch nahmen. Ganzzüge sind Frachtzüge, die Güter von einem Ort, etwa der Produktionsstätte des Verkäufers der beförderten Güter, zu einem anderen Ort, etwa einem Lager, transportieren, ohne zwischendurch aufgeteilt oder abgestellt zu werden.
Die Untersuchung der Kommission ergab, dass sich die drei Eisenbahnunternehmen durch den wettbewerbswidrigen Austausch von Informationen über Kundenanfragen nach wettbewerblichen Angeboten abstimmten und sich gegenseitig höhere Preisangebote verschafften, um ihren Geschäftsbereich zu schützen. Die Unternehmen beteiligten sich damit an einem verbotenen System zur Kundenzuteilung.
Das wettbewerbswidrige Verhalten erstreckte sich vom 8. Dezember 2008 bis zum 30. April 2014. SNCB war daran allerdings erst ab dem 15. November 2011 und ausschließlich in Bezug auf Transporte durch ÖBB, DB und SNCB beteiligt. Das Kartell betraf den konventionellen Frachtverkehr (mit Ausnahme des Automobiltransports).
Vor diesem Hintergrund sollten Abnehmer ermitteln, welche Dienstleistungen des Schienengüterverkehrs sie von den Kartellteilnehmern über Ganzzüge beschafft haben. Betroffen wären Beschaffungen im eigentlichen Kartellzeitraum von Dezember 2008 bis zum April 2014 sowie auch danach, da das Kartell auch über den eigentlichen Kartellzeitraum hinaus auch Nachwirkungen auf das Preisniveau gehabt haben dürfte.
Jeder vom Kartell Geschädigte kann Schadensersatz verlangen, wobei jeder Kartellteilnehmer für den gesamten Schaden eines Betroffenen verantwortlich ist (sog. Gesamtschuld). Als geschädigt kommen primär in Betracht Großkunden wie etwa Raffinerien oder Chemiewerke, die häufig ein einziges Gut über lange Zeiträume an ein und denselben Bestimmungsort befördern lassen, z. B. von den Häfen Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg zu großen Industriestandorten in Deutschland bzw. Österreich. Als betroffene Transportgüter kommen auch Massengüter wie Kohle, Erz, Stahl, Kies, Sand, Papier, Getreide und Holz oder Abfall in Frage. Auch Abnehmer von sog. Kartellaußenseitern können einen Schaden erlitten haben: Der Preisschirm der Kartellanten kann auch die Preissetzungsspielräume der unbeteiligten Wettbewerber erhöht haben.
Der Schaden dürfte primär eine Preisüberhöhung umfassen. Daneben kommen auch noch andere Positionen in Betracht. So ist denkbar, dass wegen kartellbedingt überhöhter Preise ein Geschädigter weniger abnehmen oder absetzen konnte (Mengeneffekte). Hinzu kämen insbesondere auch die Zinsen, die wegen des zum Teil länger zurückliegenden Zeitraums einen bedeutenden Umfang hätten. Die konkrete Quantifizierung des Schadens wird in der Regel durch ein wettbewerbsökonomisches Gutachten vorgenommen, welches auch wir unseren Mandanten empfehlen.
Mit Blick auf eine mögliche Verjährung sollten mögliche Geschädigte jetzt damit beginnen, die für den Schadensersatzanspruch relevanten Informationen und Unterlagen zusammenstellen, wie etwa Bestellungen, Verträge, Abrechnungen und Zahlungsbelege. Zu näheren Einzelheiten des Kartells wird die Kommission noch weitere Informationen veröffentlichen. Die Verjährung wird dadurch jedoch nicht gehemmt, so dass die erforderlichen Vorbereitungen zeitnah starten sollten.
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