Immer wieder beschäftigt die Frage, ob ein Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt wurde, die Vergabenachprüfungsinstanzen. Dabei geht es zumeist um den Zeitpunkt und/oder den Inhalt einer Rüge. Nunmehr hat sich das OLG Düsseldorf in seinem aktuell veröffentlichten Beschluss vom 04.04.2022 (Verg 35/21, abrufbar unter folgendem Link) mit der Frage beschäftigt, inwieweit die Zurückversetzung eines Vergabeverfahrens eine Pflicht zur erneuten Rüge eines Vergabeverstoßes auslöst.
Die Auftraggeberin schrieb Wasserbauarbeiten im offenen Verfahren nach der VOB/A-EU aus. Die Eignungsvorgaben, unter anderem zur wirtschaftlichen und finanziellen sowie zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit, ergaben sich im Einzelnen aus der Auftragsbekanntmachung im EU-Amtsblatt.
Die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene gaben jeweils ein Angebot ab.
Im Januar 2020 teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag der Beigeladenen erteilt werden solle.
Nach erfolgloser Rüge der mangelnden Eignung der Beigeladenen beantragte die Antragstellerin bei der VK Bund die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens. Nachdem die VK Bund Bedenken hinsichtlich der Vergleichbarkeit einer der drei gewerteten Referenzen der Beigeladenen geäußert hatte, erklärte die Auftraggeberin mit Schreiben vom 23.02.2021, dass sie das Vergabeverfahren in den Stand der Angebotswertung zurückversetze und eine neue Angebotswertung vornehmen werde. Die Antragstellerin erklärte daraufhin am 26.02.2021 den Nachprüfungsantrag für erledigt.
Mit Schreiben ebenfalls vom 26.02.2021 wies die Antragstellerin die Auftraggeberin auf die nach ihrer Auffassung bestehenden Unzulänglichkeiten beim Eignungsnachweis der Beigeladenen hin. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestünden erhebliche Zweifel, dass die im Präqualifizierungsverzeichnis hinterlegten Angaben zutreffend seien.
Nach erneuter Prüfung der Angebote einschließlich der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit Schreiben vom 12.03.2021 mit, dass wiederum die Beigeladene für den Zuschlag vorgesehen sei.
Mit Schreiben vom 19.03.2021 rügte die Antragstellerin unter Verweis auf ihr entsprechendes, bisheriges Vorbringen die fehlerhafte Beurteilung der technischen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen.
Nach Zurückweisung der Rüge beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.03.2021 die Einleitung eines weiteren Nachprüfungsverfahrens bei der VK Bund. Zur Begründung des Nachprüfungsantrages trug sie vor, die Beigeladene sei nicht geeignet, weil sie keinen Nachweis über (Referenz-)Leistungen erbracht habe, die nach Art und Umfang mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar seien. Außerdem sei die Beigeladene ausweislich ihrer veröffentlichten Jahresabschlüsse in wirtschaftlicher Hinsicht nicht geeignet.
Mit Beschluss vom 08.06.2021 wies die VK Bund den Nachprüfungsantrag, soweit sich die Antragstellerin gegen einen unzureichenden Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen wandte, als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurück.
Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.06.2021 sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Zur Begründung der sofortigen Beschwerde führte die Antragstellerin aus, die VK Bund habe den Nachprüfungsantrag hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen nicht als unzulässig zurückweisen dürfen, da sie zuvor mehrfach unter anderem mit Schreiben vom 26.02.2021 sowie im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren darauf hingewiesen habe, dass die Beigeladene in wirtschaftlicher Hinsicht nicht geeignet sei. In der Sache fehle der Beigeladenen sowohl die wirtschaftliche und finanzielle als auch die technische und berufliche Eignung.
Ohne Erfolg!
Die zulässige sofortige Beschwerde sei, so das OLG Düsseldorf, unbegründet. Die VK Bund habe den Nachprüfungsantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
Soweit sich der Nachprüfungsantrag gegen die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beigeladenen richte, sei er – wie die VK Bund zutreffend festgestellt habe – präkludiert.
Das Rügeschreiben vom 19.03.2021 beinhaltete lediglich eine Rüge der mangelnden technischen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen, nicht aber eine Rüge der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit. Bei der gebotenen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont sei auch die Bezugnahme auf die bisherigen Rügen in den Zusammenhang der behaupteten mangelnden technischen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen gestellt worden. Angesichts dessen könne unter Berücksichtigung des nach dem objektiven Empfängerhorizont maßgeblichen und erkennbaren wirklichen Willen des Erklärenden dem Schreiben vom 19.03.2021 eine Rüge der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nicht entnommen werden.
Die Antragstellerin könne sich vorliegend auch nicht darauf berufen, dass sie mit der Rüge, die Anlass für das erste Nachprüfungsverfahren gewesen sei, bereits die mangelnde finanzielle und wirtschaftliche Eignung der Beigeladenen gerügt habe. In Fällen, in denen der Auftraggeber den betreffenden Vergabeverfahrensabschnitt erneut durchführe, habe der Bieter den Vergabefehler ein weiteres Mal zu rügen. Dies sei, so das OLG Düsseldorf weiter, vorliegend der Fall gewesen. Denn die Auftraggeberin habe nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung im ersten Nachprüfungsverfahren mit Schreiben vom 23.02.2021 das Verfahren insgesamt in den Stand der Angebotswertung zurückversetzt. Für eine teilweise Zurückversetzung lägen keine Anhaltspunkte vor.
Schließlich beinhalte auch das Schreiben der Antragstellerin vom 26.02.2021 keine wirksame Rüge in Bezug auf die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Grundsätzlich könnten künftige Vergaberechtsfehler nicht vorsorglich gerügt werden. Zwar werde dem Rügeerfordernis auch dann Genüge getan, wenn ein Bieter erkenne, dass mit einer bevorstehenden Handlung des Auftraggebers ein Vergaberechtsverstoß drohe, und er diesen dann rüge. In diesem Fall müsse er die Rüge nicht wiederholen, nachdem sich der Rechtsverstoß realisiert habe, weil dies eine sinnlose „Förmelei“ darstellte. So liege der Fall vorliegend jedoch nicht. Denn unmittelbar nach der Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand der Angebotswertung sei eine Vergaberechtsverletzung der Auftraggeberin durch eine bevorstehende Handlung weder zu erkennen gewesen noch habe eine solche unmittelbar gedroht, da das Ergebnis der Wertung zu diesem Zeitpunkt am 26.02.2021 gänzlich offen gewesen sei.
Betreffend die technische und berufliche Eignung sei der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf folgt einerseits, dass nach einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens Rügepflichten erneut ausgelöst werden und somit Rügen erneut erhoben werden müssen. Andererseits wird deutlich, dass Rügen gegen Vergabefehler grundsätzlich nicht vorsorglich erhoben werden können.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Rüge von Vergabeverstößen bzw. deren Weiterverfolgung in einem Nachprüfungsverfahren? Wir beraten Sie gerne!