In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt war das Angebot eines Bieters wegen Unvollständigkeit ausgeschlossen worden, da entsprechende Eignungsnachweise fehlten. Im selbst gefertigten Angebotsduplikat, das bei dem Bieter verblieben war, waren die betreffenden Eignungsnachweise vorhanden. Der Bieter war sich zudem sicher, das Angebot einschließlich der nun fehlenden Seiten vollständig abgegeben zu haben. Der hierauf gestützte Nachprüfungsantrag war bei der VK Bund zunächst erfolgreich. Die Vergabekammer nahm aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Umkehr der Beweislast an, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei der Vergabestelle Unterlagen verloren gegangen seien. Dort waren die Angebote umgeheftet und mehrfach transportiert worden. Die Vergabestelle konnte darüber hinaus nicht darlegen und beweisen, dass das Angebot des Bieters bereits bei Angebotsabgabe unvollständig war und hatte dies erst bei der dritten Prüfung der Unterlagen festgestellt.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass Angebote, denen die nach der Bekanntmachung geforderten Eignungsnachweise nicht beigefügt sind, zwingend auszuschließen sind, entschied das OLG Düsseldorf nunmehr zu Gunsten der Vergabestelle und hob die Entscheidung der VK Bund auf. Das Angebot des Bieters dürfe nämlich nur dann gewertet werden, wenn ihm sämtliche geforderten Eignungsbelege beigefügt gewesen seien. Der entsprechende Nachweis obliege dem Bieter. Denn er trage nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er ein vollständiges Angebot eingereicht habe. Diesen Beweis konnte der betroffene Bieter letztlich nicht führen: Die von ihm benannten Zeugen hatten keine konkrete Erinnerung an die beweiserheblichen Vorgänge, weil die Angebotsabgabe inzwischen mehrere Monate zurücklag. Die Zeugen der Vergabestelle konnten zur Vollständigkeit des Angebots im Zeitpunkt der Submission keine Aussage machen. Auch wenn nach Schilderung der üblichen Arbeitsabläufe zum Erstellen und Absenden von Angeboten durch den Bieter die Vermutung nahe lag, dass das Angebot des Bieters – wie üblich – vollständig eingereicht worden war, konnte die erforderliche sichere Feststellung nicht erbracht werden.
Entscheidung bieterfeindlich – Beweislastumkehr angezeigt
Die – soweit ersichtlich – erste Entscheidung zur Beweislast bei Prüfung der Vollständigkeit von Angeboten muss als bieterfeindlich bezeichnet werden. Der betroffene Bieter wird nämlich regelmäßig nicht in der Lage sein, die Vollständigkeit seines Angebots bei der Submission zu beweisen. Es obliegt aber der Vergabestelle, den Wettbewerb zu schützen. Hierzu kann man auch die Pflicht zählen, zur Vermeidung von Zweifelsfällen die Vollständigkeit von Angeboten bereits während oder unmittelbar nach der Submission zu kontrollieren und die Bieter entsprechend zu informieren. Das Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz des Landes Schleswig-Holstein fordert daher vom Bieter die Abgabe einer selbstgefertigten Kopie des Angebots einschließlich der Nebenangebote in einem verschlossenen Umschlag. Dieses Doppel soll den Beweis ermöglichen, dass die Unterlagen auch im Original bei Angebotsabgabe vorhanden waren. Letztlich besteht aber keine wirksame Möglichkeit für Bieter, sich vor dem „Verschwinden“ von Angebotsteilen zu schützen bzw. die Vollständigkeit bei Angebotsabgabe positiv nachzuweisen. Der in der Literatur gemachte Vorschlag, demjenigen die Beweislast aufzuerlegen, der sich auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes beruft, wird den Interessen von Vergabestelle und Bietern eher gerecht und ist daher auch praxisnäher als die starre Beweisregel des OLG Düsseldorf.