Welcher Auftraggeber kennt es nicht?! Im Rahmen einer Ausschreibung gehen zwar Angebote ein. Allerdings sind manche Angebote fehlerbehaftet. Nicht selten fehlen geforderte Nachweise oder diese entsprechen nicht den Vorgaben. Nicht zuletzt für den Fall, dass entsprechende Unzulänglichkeiten beim Angebot des Bestbieters zutage treten, stellt sich der Auftraggeber regelmäßig die Frage, ob er die entsprechenden Nachweise nachfordern darf, um für den Fall der Nachlieferung das betreffende Angebot nicht ausschließen zu müssen, sondern bezuschlagen zu können. Von diesem Ansinnen sollte der Auftraggeber jedoch dann Abstand nehmen, wenn der Nachweis dem Angebot zwar den formalen Vorgaben entsprechend beigefügt wurde, dieser aber nicht den inhaltlichen Anforderungen entspricht, da ein solcher fehlerhafter Nachweis nicht in korrigierter Form nachgefordert werden darf. Dies hat das OLG Karlsruhe – in Abweichung von der vorausgegangenen VK-Entscheidung – in seinem Beschluss vom 14.08.2019 – 15 Verg 10/19 (abrufbar unter folgendem Link) festgestellt.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb Leistungen zur Bioabfallverwertung europaweit aus. Mit dem Angebot war der Nachweis einer Umweltschadenversicherung mit einer Deckungssumme von 2 Mio. Euro vorzulegen. Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben ein Angebot ab. Mit ihrem Angebot legte die Beigeladene lediglich einen Nachweis über eine Umweltschadensversicherung mit einer Deckungssumme von 1 Mio. Euro für das Jahr 2017 mit jährlicher Verlängerung bei Unterbleiben einer Kündigung vor. Auf Nachforderung der Auftraggeberin reichte die Beigeladene eine Versicherungspolice mit einer Deckungssumme von 2 Mio. Euro und bei einer fixen Vertragsdauer für das Jahr 2019 ein.
Die Antragstellerin rügte die Nachforderung des Versicherungsnachweises und dessen Berücksichtigung bei der Wertung erfolglos gegenüber der Antragsgegnerin. Die daraufhin angerufene VK Baden-Württemberg wies den Vergabenachprüfungsantrag als unbegründet zurück.
Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim OLG Karlsruhe ein.
Entscheidung des OLG Karlsruhe: Auftraggeber durfte Versicherungsbestätigung nicht nachfordern und bei der Wertung berücksichtigen!
Die Beschwerde war erfolgreich! Entgegen der vorinstanzlichen VK Baden-Württemberg hat das OLG Karlsruhe entschieden, dass die Antragsgegnerin die Bestätigung einer Umweltschadensversicherung mit der geforderten Deckungssumme von 2 Mio. Euro nicht von der Beigeladenen habe nachfordern und den nachgelieferten Nachweis nicht bei der Wertung habe berücksichtigen dürfen. Zwar handele es sich insoweit um eine unternehmensbezogene Unterlage im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV. Allerdings habe diese weder gefehlt noch habe die fehlerhafte Unterlage korrigiert werden dürfen.
Zwar liege mit Blick darauf, dass der Inhalt der Versicherungsbestätigung nicht den Anforderungen genüge, eine fehlerhafte Unterlage vor. Allerdings müsse eine diesbezügliche Ergänzung oder Vervollständigung ausscheiden, weil der in der Unterlage dokumentierte Erklärungsinhalt – hier: gleicher Versicherer, gleiche Policennummer, aber höhere Deckungssumme bei Bezug auf abweichenden und fixen Vertragszeitraum – nachträglich geändert werde. Dies ergebe sich aus einer richtlinienkonformen einschränkenden Auslegung des § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV. Diese sei erforderlich, um zu verhindern, dass Bietern die Gelegenheit gegeben werde, inhaltlich nachgebesserte Unterlagen einzureichen.
Fazit
Nach dem OLG Karlsruhe soll die Ergänzung oder Vervollständigung einer unternehmensbezogenen Unterlage dann vergaberechtlich unzulässig sein, wenn der in der Unterlage dokumentierte Erklärungsinhalt nachträglich geändert wird. Dies erscheint zunächst logisch. Denn dann wird die bereits vorgelegte Unterlage nicht lediglich ergänzt oder vervollständigt, sondern faktisch eine neue Unterlage vorgelegt. Allerdings führt die Entscheidung des OLG Karlsruhe dazu, dass der betroffene Bieter besser stünde, wenn er die entsprechende Unterlage dem Angebot gar nicht beigefügt hätte. In diesem Fall könnte der Auftraggeber die fehlende Unterlage nämlich in zulässiger Weise nachfordern. Unter diesem Blickwinkel erscheint das Ergebnis zumindest zweifelhaft.
Die Entscheidung ist zum Oberschwellenvergaberecht ergangen. Zwar sind die Regelungen in § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV und in § 41 Abs. 2 Satz 1 UVgO gleichlautend, dennoch dürfte die Entscheidung nicht zwangsläufig auf Vergaben im Unterschwellenbereich übertragbar sein, da das OLG Karlsruhe sein Ergebnis mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet hat und Richtlinien im Unterschwellenbereich nicht existieren.
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