Die korrekte Einordnung einer Leistung als Bau- oder Dienstleistungsauftrag stellt in vergaberechtlicher Hinsicht nicht selten eine Herausforderung dar. Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig vom 05.12.2023 (Az.: 54 Verg 8/23, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) verdeutlicht die Bedeutung dieser Einordnung und gibt wertvolle Hinweise zu den Abgrenzungskriterien und ihrer Anwendung in der Praxis.
Was war passiert?
Ausgangspunkt der OLG-Entscheidung war ein vom Auftraggeber (im Folgenden auch: Antragsgegnerin) als Bauvergabe eingeleitetes nationales Vergabeverfahren für die Beschaffung von Sensorik und einer Datenplattform zum Zwecke der Lenkung von Besucherströmen und Effizienzsteigerung in der Parkraumnutzung, aufgeteilt auf vier Lose. Die Lose 1 bis 3 betrafen die Sensorik in verschiedenen als Gesellschafter an der Antragsgegnerin beteiligter Gebietskörperschaften, das Los 4 betraf die Datenplattform.
Die Ausschreibung zielte zunächst darauf ab, eine Sensor-Infrastruktur technisch aufzubauen und an 15 Standorten in der Region zu erproben, um den Prozess als Grundlage für eine anschließende Umsetzungsphase zu etablieren. Hierzu sollte ein den Vergabeunterlagen beigefügter sog. EVB-IT-Kaufvertrag geschlossen werden.
Die Lose 1 bis 3 sahen neben einem umfangreichen Leistungskonglomerat, das insbesondere die notwendigen Konfigurations- und Versorgungsleistungen, Transport- und Installationsarbeiten, die technische Übergabe und Einweisung einschließlich eines erfolgreichen Funktionstests aller Komponenten sowie die Kompatibilität der Sensorik mit der Datenplattform umfasste, auch die Anbringung und Installation der Sensoren an vorhandenen Masten oder am bzw. im Boden vor. Hierbei waren die Bieter aufgefordert, die Errichtung etwaig benötigter zusätzlicher Masten mit anzubieten. Alle Arbeiten sollten mit möglichst geringen Bodenbeeinträchtigungen unter Baustellensicherung erfolgen; ein entsprechendes Montagekonzept war mit dem Angebot vorzulegen.
Für das Los 2 gaben sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene Angebote ab. Mit Schreiben vom 13.09.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass der Auftrag für Los 2 aufgrund eines besseren Submissionsergebnisses an die Beigeladene erteilt werden solle. Dies rügte die Antragstellerin unter anderem damit, dass das Verfahren nicht als Bauvergabe hätte durchgeführt werden dürfen. Eine Abhilfe erfolgte nicht.
Auch der unter dem 20.09.2023 gestellte Nachprüfungsantrag blieb ohne Erfolg. Die Vergabekammer Schleswig-Holstein (Beschl. v. 25.10.2023 – VK-SH 14/23) wies diesen bereits als unzulässig zurück, da sie für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte nicht zuständig sei. Der hiesige Auftrag sei rechtlich als Bauauftrag mit einem geschätzten Auftragswert von unter 1 Mio. EUR zu werten, da maßgebliches Ziel der Vergabe die Realisierung der baulichen Voraussetzungen für die Verkehrsüberwachung durch die Montage von Sensoren sei, was sich nicht zuletzt darin zeige, dass die Antragsgegnerin in der Leistungsbeschreibung eine Bodenbeeinträchtigung in Erwägung gezogen und der Bieter ein Montagekonzept vorzulegen gehabt habe.
Hiergegen legte die Antragstellerin eine sofortige Beschwerde gem. § 172 GWB mit der Begründung ein, es handele sich vorliegend nicht um einen Bau-, sondern um einen Liefer- und Dienstleistungsauftrag, weil die Montageleistungen nicht den Schwerpunkt des Auftrags bildeten. Prägend sei vielmehr der prozesshafte technische Aufbau einer Sensor-Infrastruktur, was insbesondere die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme eines voll funktionsfähigen Sensor-Systems umfasse. Insbesondere sollte die Sensorik unter weitgehender Vermeidung baulicher Eingriffe montiert werden. Auch der den Vergabeunterlagen beigefügte EVB-IT-Kaufvertrag sei für das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags indiziell.
Mit Erfolg!
Entscheidung des OLG Schleswig: Ein Auftrag über die Beschaffung der Sensorik und einer Datenplattform zur Lenkung von Besucherströmen und Pendelverkehren ist kein Bau-, sondern ein Dienstleistungsauftrag, auch wenn Masten zu errichten sind, um daran Sensoren zu befestigen.
Aufhänger der Entscheidung war die Frage, ob der Nachprüfungsantrag möglicherweise bereits deswegen unzulässig war, weil die Vergabekammer grundsätzlich nur bei oberschwelligen Aufträgen zuständig ist und damit der Nachprüfungsantrag bei einem vermeintlichen Bauauftrag, dessen Auftragswert unter 1 Mio. EUR liegt, unstatthaft wäre, §§ 106, 104 Abs. 1 bis 4 GWB.
Dieser Auffassung der Vergabekammer Schleswig-Holstein folgte das OLG Schleswig jedoch im Ergebnis mit guten Gründen nicht:
Vergaberechtlicher Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung einer Auftragsart als Bau- oder Dienstleistung ist im oberschwelligen, sog. Kartellvergaberecht § 103 GWB. Hier wird der Bauauftrag in Abs. 3 legaldefiniert als Vertrag über die Ausführung oder gleichzeitige Planung und Ausführung
Eine Definition des Bauauftrags für den Unterschwellenbereich findet sich in § 1 VOB/A. Dort wird der Bauauftrag definiert als ein Vertrag über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens oder eines Bauwerks, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll.
Bei öffentlichen Aufträgen, die mehrere, zu verschiedenen Auftragsarten gehörende Leistungen umfassen, richtet sich die maßgebliche Auftragsart gem. § 110 Abs. 1 GWB nach dem Hauptgegenstand des Vertrages. Dabei ist auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Auftrag prägen, nicht auf Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrages folgen. Der Wert der zu erbringenden Einzelleistungen ist insoweit nur ein Kriterium unter anderen, die bei der Ermittlung des Hauptgegenstandes zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist die funktionale Zuordnung der Leistungen zum jeweiligen Vertragstyp und deren gegenständliche, vertragliche Bedeutung (siehe auch schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18, abrufbar unter folgendem Link).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt schlussfolgert das OLG Schleswig zurecht, dass der Hauptgegenstand der hier ausgeschriebenen Beschaffungsleistung als Dienstleistung anzusehen sei.
Zur Begründung führt das OLG Schleswig im Wesentlichen aus, dass allenfalls die Montage von Sensoren als Bauleistung angesehen werden könne, diese aber nicht Hauptgegenstand der ausgeschriebenen Leistung geworden sei. So sei zwar die Errichtung eines Mastes, nicht aber die Anbringung der Sensoren selbst als „Herstellung einer baulichen Anlage“ im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB zu werten. Auch die Sensoren insgesamt, die an einem Ort angebracht werden, seien keine bauliche Anlage. Insoweit fehle es den Sensoren sowohl an einer körperlichen Verbindung untereinander als auch an einem funktionalen Zusammenhang zu den bereits vorhandenen Befestigungspunkten. Schließlich seien auch die vom Angebot umfassten Leistungen der Baustelleneinrichtung kein Indiz für eine Bauleistung, da sie vielmehr als bloßer Reflex der notwendigen Montageleistungen der Sensoren anzusehen seien.
Zur Einordnung des Vertragstyps betrachtete das OLG alle vier Lose, da sie als einheitliches Vorhaben zu werten seien. Ziel der Vergabe sei hiernach, entgegen der Auffassung der Vergabekammer, nicht allein die Montage von Sensoren, sondern vielmehr die Schaffung eines Systems aus Sensoren, die Daten erfassten und an die Datenplattform zur Verarbeitung weiterleiteten. Die bloße Montage der Sensoren wäre für die Antragsgegnerin schließlich wertlos.
Zudem stelle die Montageleistung in der Gesamtbetrachtung der Lose 1 bis 3 bloß eine von mehreren zu erbringenden Leistungen dar. Allein diese Gewichtung spreche schon gegen einen Bauauftrag. Auch sei der Abschluss eines EVB-IT-Kaufvertrages und eben keines Bauvertrages beabsichtigt, was schon zeige, dass die IT-Leistungen von der Antragsgegnerin für wesentlicher erachtet worden seien als die Errichtung von Masten. An dieser Einordnung ändere sich nach Auffassung des OLG auch durch das Verlangen eines Montagekonzeptes nichts, da sich dieses vor allem mit den vorgesehenen Befestigungen zur Abstimmung mit den Eigentümern der Masten zu befassen gehabt habe.
Abseits der Frage nach der richtigen Einordnung der ausgeschriebenen Leistungen beanstandete das OLG zudem die fehlerhafte Dokumentation der Vergabeart nach § 8 VgV. Es sei bereits aus der Vergabeakte nicht ersichtlich, aufgrund welcher Erwägungen ein Bauauftrag angenommen worden sei.
Fazit und Praxishinweise
Die Entscheidung des OLG Schleswig zeigt, welche Bedeutung die richtige Einordnung der Auftragsart haben kann, wenn mehrere Leistungsgegenstände bzw. „gemischte Aufträge“ ausgeschrieben sind. Dabei hält das OLG mit überzeugender Begründung fest:
Der Beschluss des OLG Schleswig reiht sich damit in eine Anzahl bereits ergangener Entscheidungen ein, die sich einzelfallabhängig mit unterschiedlicher Begründung der gleichen Frage nach der zutreffenden Abgrenzung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen widmeten. Die hier betrachtete Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig die richtige Zuordnung des Auftragsgegenstands ist – für die Wahl des richtigen Rechtsregimes, aber auch für die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen.
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