Das europäische Einheitspatentgericht (UPC) wird zum 01.06.2023 seine Tätigkeit aufnehmen. Ab diesem Tag sind für sämtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit Europäischen Patenten (EP) grundsätzlich nicht mehr die nationalen Gerichte, sondern der UPC zuständig. Allerdings besteht die Möglichkeit für Inhaber eines EP, einen so genannten Opt-Out zu erklären, so dass für einen Zeitraum von sieben Jahren, der um weitere sieben Jahre verlängert werden kann, weiterhin die nationalen Gerichte zuständig sind. Dieser Opt-Out ist schon ab dem 01.03.2023 möglich und die Entscheidung, ob ein Opt-Out erklärt wird, sollte aus den nachfolgend dargestellten Gründen so früh wie möglich getroffen werden, um Nachteile im Einzelfall zu vermeiden.
Hintergrund
Bislang waren für Klagen aus und gegen EPs die nationalen Gerichte zuständig, d.h., wer z. B. gegen einen Verletzer in Deutschland, Frankreich und Italien vorgehen wollte, musste in allen drei Ländern klagen. Umgekehrt galt dies auch für Nichtigkeitsklagen. Das EP ist ein Bündelpatent, d.h. kein einheitliches Patent, sondern besteht aus mehreren nationalen Teilen. Mit dem Start des UPC ist es möglich, aus einem EP gegen einen Verletzer z. B. bei der deutschen Regionalkammer vorzugehen und Ansprüche einheitlich für alle Länder, in denen das EP in Kraft steht und die am Übereinkommen über das Einheitspatentgericht teilnehmen, durchzusetzen. Ein Urteil der Regionalkammer in Düsseldorf wird somit im Beispielsfall auch in Frankreich und Italien vollstreckbar sein. Umgekehrt ist es aber auch möglich, einen Nichtigkeitsangriff gegen das EP einheitlich einzuleiten. Über diesen entscheiden dann je nach Branche die Zentralkammern in München oder Paris. Da im Vorfeld befürchtet wurde, dass es zum Start des UPC zu einem Wettlauf zwischen den Patentinhabern, die einen Opt-Out erklären wollen, und Wettbewerbern, die bislang aus Kostengründen davon abgesehen haben in mehreren Ländern Nichtigkeitsklagen zu erheben und das Patent nunmehr zentral angreifen wollen kommen könnte, wurde eine „Sunrise Period“ von drei Monaten vorgesehen, d. h., die Patentinhaber können bereits drei Monate vor dem Start des UPC, also ab dem 01.03.2023 den Opt-Out erklären. Hintergrund ist, dass die Verfahrensordnung vorsieht, dass ein Opt-In nur so lange erklärt werden kann, wie kein Gerichtsverfahren vor dem UPC anhängig gemacht wurde. Solange nach dem 01.06.2023 kein Gerichtsverfahren anhängig gemacht wurde, besteht die Möglichkeit, nach einem Opt-Out wieder einen Opt-In zu erklären, d.h. die Zuständigkeit des UPC zu begründen. Wir beleuchten nachfolgend die Vor- und Nachteile eines Opt-Out.
Vor- und Nachteile von UPC und Opt-Out
Der entscheidende Vorteil des UPC ist die einheitliche Vollstreckbarkeit einer Entscheidung in allen Ländern, in denen das EP in Kraft steht und die am Übereinkommen über das Einheitspatentgericht teilnehmen. Dadurch werden auch die Kosten des Rechtsstreits im Regelfall signifikant gesenkt. Dies gilt sowohl für Verletzungs- als auch Nichtigkeitsverfahren.
Dieser Vorteil besteht aber für den Patentinhaber nur, wenn das EP noch in vielen Staaten aufrechterhalten wird. Üblicherweise werden EPs nach und nach „ausgedünnt“, d. h., der Patentinhaber verlängert das Patent nur in den Staaten, wo auch potentiell Verletzungshandlungen in wirtschaftlich relevantem Ausmaß stattfinden könnten. Für die Automobilindustrie sind daher z. B. die Länder Deutschland, Frankreich und Italien besonders relevant, weil hier die großen Automobilhersteller und -zulieferer produzieren und in wesentlichem Umfang vertreiben.
Das EP dem UPC zu unterstellen ist daher insbesondere dann interessant, wenn es sich um ein erst kürzlich erteiltes, noch nicht wesentlich „ausgedünntes“ EP handelt, da hier eine Entscheidung in vielen Ländern durchsetzbar wäre und der Kostenfaktor für ein einheitliches Vorgehen spricht.
Bei älteren EPs, die nur noch in wenigen, aber besonders relevanten Staaten in Kraft stehen, spricht viel dafür, einen Opt-Out zu erklären.
Wie bei der Verletzungsklage entfaltet auch eine Nichtigkeitsentscheidung der Zentralkammer für alle Länder, in denen das EP in Kraft steht und die am Übereinkommen über das Einheitspatentgericht teilnehmen, Wirkung. Wird das EP also für nichtig erklärt, gilt dies für alle diese Staaten. Ein Wettbewerber, der bisher trotz durchaus tragfähiger Argumente aus Kostengründen davon abgesehen hat, in mehreren Ländern Nichtigkeitsangriffe vorzunehmen, könnte ab dem 01.06.2023 die Entscheidung treffen, einen einheitlichen Nichtigkeitsangriff bei der zuständigen Zentralkammer zu starten. Dem kann der Patentinhaber durch einen Opt-Out entgegenwirken.
Ferner spricht für einen Opt-Out auch das Kostenrisiko im Falle des Unterliegens. Während nach der bisherigen Rechtslage sich die erstattungsfähigen Kosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) bemessen und somit nach dem Streitwert bereits im Vorhinein kalkulierbar sind, werden beim UPC die Rechtsanwaltskosten erstattet, soweit sie angemessen sind. Es ist nur eine (sehr hohe) streitwertabhängige Kappungsgrenze vorgesehen. Da in Patentstreitigkeiten die tatsächlichen Kosten in aller Regel weit über der RVG-Vergütung liegen, besteht für den Patentinhaber, der mit einer Verletzungsklage unterliegt oder dessen Patent für nichtig erklärt wird das relativ unkalkulierbare Risiko, dem Gegner auch noch erhebliche Anwaltskosten ersetzen zu müssen. Auch daher spricht viel dafür, bei schon stark „ausgedünnten“ Patenten einen Opt-Out zu erklären.
Wichtig zu wissen ist, dass der Opt-Out durch einen Opt-In rückgängig gemacht werden kann, solange noch keine Klage vor einem nationalen Gericht anhängig ist. Wenn sich der Patentinhaber also nachträglich entscheidet, doch vor dem UPC klagen zu wollen, kann er dies tun.
Wie auch immer Sie sich entscheiden – den 01.03.2023 sollten Sie sich im Kalender markieren.
Unsere Rechtsexperten aus dem Fachbereich Geistiges Eigentum, Medien und Informationstechnologie beraten Sie gerne.