Nachdem das BAG vor rund zwei Jahren in den deutschen Gesetzen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gesucht und (gut versteckt in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) für alle Beschäftigten, die dem ArbZG unterfallen, gefunden hat (BAG v. 13.09.2022 - 1 ABR 22/21), gab es in Personalabteilungen und bei arbeitsrechtlichen Beratern viel Unruhe – Unternehmen ohne flächendeckende Arbeitszeiterfassung waren von jetzt auf gleich nicht mehr compliant und die Folgen zunächst ungewiss.
Wenig beunruhigt zeigte (und zeigt) sich derweil der Gesetzgeber, der nach einhelliger Meinung nunmehr berufen wäre, klare und detaillierte Regelungen für die Arbeitszeiterfassung zu schaffen, da sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nur die grundsätzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes herleiten lässt. Darauf wartet ein erheblicher Teil der Praxis. Seit einem auf Kritik gestoßenen Referentenentwurf aus dem BMAS vom 27.03.2023 ist es jedoch still geworden und es erscheint derzeit unwahrscheinlich, dass sich die politischen Akteure in der verbleibenden Zeit der Legislaturperiode noch zu einer Regelung werden durchringen können.
Umso spannender liest sich nun ein aktuelles Urteil aus Hamburg (VG Hamburg v. 21.08.2024 – 15 K 964/24):
Ein Beschäftigter hatte sich - anonym - über die fehlende Arbeitszeiterfassung bei seinem Arbeitgeber ab einer bestimmten Führungsebene bei der Aufsichtsbehörde beschwert. Diese ordnete nach einer unangekündigten Betriebsbesichtigung inkl. Befragung zahlreicher Mitarbeiter im September 2023 u.a. an:
„8. Aufzeichnung der Arbeitszeiten Ihrer Beschäftigten
Stellen Sie sicher, dass zukünftig die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten aller Ihrer Beschäftigten nachvollziehbar aufgezeichnet werden. Aus den Aufzeichnungen müssen mindestens der tägliche Arbeitsbeginn, das Arbeitsende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit hervorgehen (vgl. BAG-Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21). Senden Sie uns nach Ablauf der unten genannten Frist, die Arbeitszeitaufzeichnungen Ihrer Beschäftigten, für die bislang keine Arbeitszeiten aufgezeichnet wurden, für die Monate November und Dezember 2023 zu.“
Dagegen setzte sich das Unternehmen inzwischen beim Verwaltungsgericht zur Wehr. Mit folgendem Ergebnis (Leitsatz):
„Aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG folgt bei unionsrechtkonformer Auslegung die – auch öffentlich-rechtlich auf der Grundlage von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG durchsetzbare – Pflicht von Arbeitgebern ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst werden. Einer weiteren (gesetzlichen) Umsetzung dieser Pflicht durch den deutschen Gesetzgeber aus Gründen der Klarstellung oder Konkretisierung bedarf es insoweit nicht.“
Das Argument des Unternehmens, es warte noch auf eine Umsetzung der BAG-Entscheidung durch den Gesetzgeber, wie dies weitläufige Praxis ist, überzeugte das VG Hamburg nicht. Es stellt unmissverständlich fest, dass sich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits jetzt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergibt und von den Aufsichtsbehörden ohne Weiteres durchsetzbar ist. Wird das Urteil rechtskräftig, muss das Unternehmen künftig die Arbeitszeiten entsprechend Ziffer 8 des Bescheids erfassen – ansonsten drohen hohe Bußgelder!
Glücklicherweise bedarf es angesichts der aktuellen gesetzlichen Konzeption erst einer § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG entsprechenden Anordnung zur Durchführung einer Arbeitszeiterfassung gegenüber Unternehmen, bevor ein Bußgeld verhängt werden kann. Momentan sind solche Anordnungen nach unseren Erkenntnissen noch eher selten, der häufigste Fall sind Beschwerden von (ggf. ausgeschiedenen) Beschäftigten, die die Aufsichtsbehörden zum Aktivwerden zwingen. Eine Beobachtung der Lage führt daher für Unternehmen ohne (vollständige) Arbeitszeiterfassung zunächst „nur“ zu einem Compliance-Verstoß. Trotzdem zeigt das Urteil nachdrücklich, dass Unternehmen das Thema keinesfalls aus den Augen verlieren sollten.
Fragen hierzu? Fragen Sie uns!