Es ist ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“, 7. März 2013, Rs. C-358/11) zum Abfallrecht ergangen, das viele spannende Aspekte anspricht. Unter anderem teilt der EuGH mit, unter welche Bedingungen ein als gefährlich eingestufter Abfall seine Abfalleigenschaft verlieren kann. In diesem finnischen Vorabentscheidungsverfahren äußerte sich der EuGH auch zum Verhältnis der Abfallrahmenrichtlinie (RL 2008/98/EG) zur Verordnung 1907/2006 EG („REACH-VO“). Da das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz im Wesentlichen eine Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie darstellt, ist die Entscheidung für das deutsche Abfall- und Umweltrecht besonders bedeutsam.
Sachverhalt
Das Vorabentscheidungsersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits um die Instandsetzung eines Pfades in Lappland mit Stegen. Der Unterbau dieser Stege besteht aus ausgemusterten Holztelefonmasten, die mit einer Kupfer-Chrom-Arsen-Lösung (CCA) behandelt wurden. Nach der REACH-VO sind bestimmte Verwendungen der mit diesem Stoff behandelten Hölzer in Ausnahmefällen und unter besonderen Bedingungen zulässig.
Ein Naturschutzverband klagte gegen die Verwendung der Masten. Er ist der Auffassung, dass es sich bei den Masten um gefährlichen Abfall handelt, der nicht für den Bau eines solchen Pfades verwendet werden darf. Für die Entscheidung des Rechtsstreits durch das oberste finnische Verwaltungsgericht kommt es daher vor allem darauf an, ob es sich bei den Masten um gefährlichen Abfall handelt, obwohl die REACH-VO die Verwendung von so behandeltem Holz erlaubt, oder ob die Masten wegen der Wiederverwendung ihre Abfalleigenschaft verloren haben. Da die Beantwortung dieser Fragen vor allem von der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Abfallrahmenrichtlinie und der REACH-VO abhängt, setzte das finnische Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidung
In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass für das Ende der Abfalleigenschaft nicht alleine entscheidend ist, dass der Stoff ein Verwertungsverfahren durchlaufen hat, das zur Folge hat, dass der Stoff die gleichen Eigenschaften und Merkmale wie ein Rohstoff angenommen hat. Maßgeblich ist zudem, dass das durch Verwertungsverfahren entstandene Erzeugnis verwendbar ist, was stets anhand aller Umstände des Falles zu ermitteln ist und vor allem davon abhängt, ob es im Einklang mit den Anforderungen der Bestimmungen der Abfallrahmenrichtlinie verwendet werden kann, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. Auch ein gefährlicher Abfall kann bei Erfüllung dieser Voraussetzungen somit grundsätzlich seine Abfalleigenschaft verlieren.
Allerdings soll nach Ansicht des EuGH für das Ende der Abfalleigenschaft nach der Definition des Art. 3 Nr. 1 der Abfallrahmenrichtlinie zusätzlich erforderlich sein, dass sich der Besitzer des Stoffes nicht seiner entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Somit kommt es nicht allein auf die Eigenschaften des Stoffes nach Durchlaufen des Verwertungsverfahrens an, sondern auch auf den subjektiven Willen des Besitzes. Will oder muss der Besitzer sich des Stoffes entledigen, verliert der Stoff seine Abfalleigenschaft nicht.
Für die Beurteilung der Entledigungspflicht ist nach Ansicht des EuGH auch die REACH-Verordnung von Bedeutung. Da die REACH-Verordnung und die Abfallrahmenrichtlinie vergleichbare Ziele (Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt) verfolgen, sind die Wertungen der REACH-Verordnung bei der Beurteilung der Abfalleigenschaft des Stoffes heranzuziehen. Wenn – wie im vorliegenden Fall – die Verwertung der Masten im Rahmen einer nach der REACH-Verordnung erlaubten Verwendung erfolgt, spricht dies gegen eine Entledigungspflicht nach der Abfallrahmenrichtlinie und gegen die Einstufung des Stoffes als Abfall.
Fazit
Auch ein gefährlicher Abfall kann seine Abfalleigenschaft verlieren. Dafür müssen aber nicht nur die Voraussetzungen des Art. 6 der Abfallrahmenrichtlinie zum Abfallende erfüllt sein. Der Stoff darf nach Ansicht des EuGH außerdem nicht unter die Abfalldefinition des Art. 3 Nr. 1 der Abfallrahmenrichtlinie fallen. Deshalb müssen auch stets die subjektiven Vorstellungen des Besitzers in die Beurteilung der Abfalleigenschaft des Stoffes einbezogen werden. Will sich der Besitzer des Stoffes entledigen, kann dieser Stoff auch nach einem durchgeführten Verwertungsverfahren und der Erfüllung der weiteren Tatbestandsmerkmale des Art. 6 der Abfallrahmenrichtlinie seine Abfalleigenschaft nicht verlieren.
Da auch die deutschen Verwaltungsbehörden und Gerichte sich üblicherweise an der Rechtsprechung des EuGH orientieren, ist davon auszugehen, dass auch diese an das Ende der Abfalleigenschaft gleich hohe Anforderungen stellen werden und insbesondere die subjektive Seite stärker als bisher berücksichtigen werden, obwohl weder Wortlaut noch Systematik des Kreislaufwirtschaftsgesetzes eine solche Auslegung zwingend nahe legen.