Wechseln sich Berufskraftfahrer auf längeren Touren als Fahrer und Beifahrer ab, so sind nach einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.02.2010 auch die Zeiten als Beifahrer als Bereitschaftszeiten vergütungspflichtig.
Das Urteil ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:
Auslegung des § 21a ArbZG
Zum einen beschäftigt sich die Entscheidung – soweit ersichtlich – erstmals ausführlich mit der Auslegung des § 21a Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Hierbei handelt es sich um eine im Jahr 2006 nach europarechtlichen Vorgaben in Kraft getretene Spezialvorschrift zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben. Erfasst werden im Wesentlichen Fahrer und Beifahrer von Lastkraftwagen im Güterverkehr mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen sowie von Fahrzeugen zur Personenbeförderung mit mehr als acht Fahrgastplätzen. § 21a ArbZG erwähnt ausdrücklich die Fallgestaltung, dass sich zwei Arbeitnehmer auf einer längeren Tour beim Fahren abwechseln, und stellt hierzu fest, dass die während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbrachte Zeit keine Arbeitszeit ist.
Das LAG Berlin-Brandenburg ist der Auffassung, dass die Zeiten als Beifahrer dennoch zu vergüten sind. Aus § 21a ArbZG folge lediglich, dass die Zeiten als Beifahrer arbeitsschutzrechtlich nicht als Arbeitszeit zu werten seien, was insbesondere im Hinblick auf die gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten relevant sei. Die Neuregelung treffe demgegenüber keine Aussage zur Vergütungspflicht. Insoweit bleibe es bei den allgemeinen Grundsätzen. Hiernach seien die Zeiten als Beifahrer als Bereitschaftszeiten zu werten und als solche jedenfalls im vergütungsrechtlichen Sinne auch Arbeitszeit. Der Beifahrer halte sich auf Anweisung des Arbeitgebers in der Fahrerkabine auf, um bei Bedarf das Führen des Kraftfahrzeuges übernehmen zu können. Dieser Verlust an Freizeit müsse bezahlt werden.
Höhe der Vergütung
Der zweite Aspekt betrifft die Höhe der für die Beifahrer zu zahlenden Vergütung. Hierzu führt das LAG Berlin-Brandenburg aus, dass für Bereitschaftszeiten nicht zwingend die volle Vergütung zu zahlen sei. Angesichts der geringeren Beanspruchung könne auch eine geringere Vergütung vereinbart werden als für Zeiten, an denen tatsächlich gearbeitet wird. Erforderlich hierfür sei jedoch eine ausdrückliche Regelung.
Im Streitfall konnte der Arbeitgeber nicht nachweisen, dass für Bereitschaftszeiten eine geringere Vergütung tatsächlich vereinbart war. In Ermangelung einer solchen Regelung hat das Gericht den Arbeitgeber verurteilt, die Zeiten als Beifahrer voll zu vergüten.
Konsequenzen aus der Entscheidung und Handlungsempfehlung
Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist noch nicht rechtskräftig, der Arbeitgeber hat Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Es ist daher zu erwarten, dass die Frage der Auslegung von § 21a ArbZG demnächst höchstrichterlich geklärt wird.
Unabhängig davon verdeutlicht die Entscheidung, wie wichtig es aus Arbeitgebersicht ist, dass die (geringere) Vergütungshöhe für Bereitschaftszeiten geregelt ist, um die Zeiten als Beifahrer zumindest nicht voll zahlen zu müssen. Solche Regelungen finden sich bereits in vielen Tarifverträgen, so etwa im MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW, wonach die Bereitschaftszeiten als Beifahrer mit 70% des Tariflohns vergütet werden. Gilt für das Arbeitsverhältnis kein Tarifvertrag, sollte der Arbeitgeber eine einzelvertragliche Lösung anstreben. Nach der Rechtsprechung wäre dabei auch die Zahlung von lediglich 50% des vollen Lohns für Bereitschaftszeiten noch zulässig.