Im Zusammenhang mit Rügen stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Vergabeverstoß aufgrund der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen für den Bieter erkennbar war. Mit dieser Frage setzt sich auch eine aktuelle Entscheidung der VK Berlin (Beschluss vom 30.07.2019 – VK B 1-09/19, abrufbar unter folgendem Link) auseinander, und zwar ganz explizit im Zusammenhang mit der Gestaltung der Bewertungsmethode.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb die Beschaffung von U-Bahnen inklusive Ersatzteilversorgung mit einem sehr hohen Volumen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens europaweit aus.
Als Grundlage für die Bewertung waren die Bewertungsmatrix und die Erläuterungen hierzu vorgegeben. Die Bewertung sollte anhand des Preises und verschiedener Qualitätskriterien im angegebenen Verhältnis erfolgen. Die Methodik sowie die jeweiligen Berechnungsformeln waren in der Bewertungsmatrix im Einzelnen kriterienscharf dargestellt.
Mehrere Bieter, darunter die spätere Antragstellerin, gaben ein Angebot ab.
Daraufhin teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt und der Zuschlag auf das Angebot eines Wettbewerbers erteilt werde. Zwar habe sie das günstigste Angebot abgegeben und auch bei diversen Qualitätskriterien die volle Punktzahl erhalten. Jedoch habe sie bei zwei Qualitätskriterien deutlich hinter dem besten Angebot gelegen.
Daraufhin rügte die Antragstellerin erfolglos insbesondere die Inkonsistenz der Bewertungsmethode und beantragte anschließend bei der VK Berlin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Entscheidung der VK Berlin: Die Antragstellerin ist mit ihrem Vorbringen zur Bewertungsmethode präkludiert, weil ein vermeintlicher Fehler für sie erkennbar war!
Nach der VK Berlin ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen zu Fehlern in der Bewertungsmethodik gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, weil sie die vermeintlichen Verstöße trotz Erkennbarkeit erst nach Angebotsabgabe gerügt habe.
Während der Angebotserstellung müsse sich ein Bieter zwangsläufig mit der Bewertungsmethode und den einzelnen Zuschlagskriterien auseinandersetzen, wenn er ein wirtschaftliches Angebot abgeben möchte. So bedürfe es keiner besonderen vergaberechtlichen Kenntnisse, um die einzelnen Berechnungswege der Kriterien zu erkennen und zu realisieren, dass der Preis abweichend von den anderen Kriterien doppelt interpoliert werde. Gerade von einem Bieter, der sich um einen Auftrag in dieser Größenordnung bemühe und vergaberechtlich nicht unerfahren sei, was sich bereits mit Blick auf die erfüllten Referenzanforderungen ergebe, könne und müsse erwartet werden, dass er sich mit der Bewertungsmethode auseinandersetzen und sie durchdringen könne.
Fazit und Praxishinweise
Für den Auftraggeber folgt aus der Entscheidung der VK Berlin, dass ihm bei der Festlegung der Bewertungsmethode – ebenso wie bei der Kriteriengestaltung und -gewichtung – ein Entscheidungsspielraum zukommt. Insbesondere darf er im Hinblick auf die einzelnen Kriterien verschiedene Bewertungsmethoden festlegen und ist nicht dazu verpflichtet, alle Kriterien mit derselben Methode zu bewerten.
Mit Blick auf die Bieter führt die Entscheidung dazu, dass diese etwaige aus den Vergabeunterlagen folgende Fehler bezüglich der Bewertungsmethode grundsätzlich im Rahmen der Angebotsfrist rügen müssen. Insoweit sollten sie sich im eigenen Interesse nicht nur im Hinblick auf eine sinnvolle Angebotserstellung, sondern auch hinsichtlich einer rechtzeitigen Rüge frühzeitig mit den Vergabeunterlagen, vor allem auch der Bewertungsmethodik, intensiv (ggf. auch im Wege von fiktiven Berechnungen bzw. Bewertungen anhand der vorgegebenen Bewertungsmodalitäten) auseinandersetzen. Dies dürfte vom Grundsatz her auch bei Oberschwellenvergaben mit geringerem Auftragsvolumen gelten. Mit Blick darauf, dass Referenzangaben in nahezu jedem Vergabeverfahren vorzulegen sind, dürfte regelmäßig auch eine Argumentation, dass eine Erkenntnismöglichkeit aufgrund von vergaberechtlicher Unerfahrenheit nicht bestanden habe, erschwert sein. Etwaige Unklarheiten sollten im Wege von Bieterfragen oder gegebenenfalls einer Rüge frühzeitig einer Klärung zugeführt werden.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit Festlegung von Zuschlagskriterien, Bewertungsmethoden oder der Beurteilung ihrer Zulässigkeit im Einzelfall? Wir beraten Sie gerne!