Sind im Rahmen der Angebotsunterlagen an mehreren Stellen die Preise einzutragen, kommt es nicht selten vor, dass die Eintragungen des Bieters – die gleichen Leistungspositionen betreffend – voneinander abweichen. Dann stellt sich für den Auftraggeber die Frage, inwieweit er die nicht eindeutigen Preisangaben auslegen darf, ob er insoweit nachfordern kann bzw. aufklären darf oder sogar muss. Zu dieser Frage hat sich die VK Bund in ihrem aktuell veröffentlichten Beschluss vom 12.03.2021 (VK 1-20/21, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) positioniert. Dabei hat sie sich insbesondere auch mit dem Urteil des BGH vom 18.06.2019 (X ZR 86/17, abrufbar unter folgendem Link) beschäftigt, aus welchem in der Vergabepraxis – in Abkehr vom lange geübten, strikten Formalismus – eine deutlich weitergehende Pflicht zur Auslegung und Aufklärung gefolgert wird.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb Glasreinigungsleistungen im Wege eines offenen Verfahrens europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Bieter hatten mit dem Angebot unter anderem das ausgefüllte und mit Preisangaben versehene Leistungsverzeichnis sowie den ausgefüllten Angebotsvordruck einzureichen. In Letzterem war ein ebenfalls auszufüllendes Preisblatt enthalten. Dieses nahm Bezug auf die Ziffern 1 bis 5 des Leistungsverzeichnisses.
Der spätere Antragsteller gab ein Angebot ab. Er reichte das mit Preisangaben ausgefüllte Leistungsverzeichnis mit Datum vom 18.11.2020 und den Angebotsvordruck mit Datum vom 20.10.2020 ein. Die im Angebotsvordruck eingetragenen Preise wichen von den Preisangaben im Leistungsverzeichnis ab. Bei Berücksichtigung der Preisangaben im Leistungsverzeichnis wäre das Angebot des Antragstellers das günstigste Angebot gewesen.
Bei der Angebotswertung stellte die Auftraggeberin im Rahmen der Prüfung der rechnerischen Richtigkeit fest, dass die Preisangaben im Angebotsvordruck in vier von fünf Positionen nicht mit den Angaben im Leistungsverzeichnis übereinstimmten. In einem Vermerk kam die Auftraggeberin zu dem Ergebnis, dass eine Nachforderung nach § 56 Abs. 3 VgV ausgeschlossen sei, weil im Angebot keine Preisunterlagen fehlten und ein etwaiges Vervollständigen nicht in Betracht komme, weil dies Einfluss auf die Platzierung habe. Ferner scheide eine Korrektur eines offenkundigen Rechen- oder Schreibfehlers im Wege der Auslegung aus. Denn den Eintragungen im Leistungsverzeichnis und im Angebotsblatt sei nicht zu entnehmen, zu welchem Preis die Leistung tatsächlich habe angeboten werden sollen. Es sei kein bestimmter Berechnungs- oder Übertragungsfehler erkennbar. Vielmehr lägen zwei Dokumente mit komplett unterschiedlichen Preisangaben vor. Dass das Leistungsverzeichnis mit einem neueren Datum versehen sei, sei nur ein Indiz und demzufolge nicht eindeutig und zweifelsfrei. Eine Aufklärung komme vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.
Mit Schreiben vom 07.01.2021 informierte die Auftraggeberin den Antragsteller darüber, dass sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne, weil dieses im Angebotsvordruck und im Leistungsverzeichnis abweichende Preisangaben enthalte und daher von der Wertung ausgeschlossen werden müsse.
Nach erfolgloser Rüge stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag bei der VK Bund.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Bund: Das Angebot war ohne vorherige Nachforderung bzw. Aufklärung der nicht eindeutigen Preise gemäß 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV von der Wertung auszuschließen!
Nach § 57 Abs. 5 Nr. 1 VgV sind Angebote, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, auszuschließen, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Dabei liege ein Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV, so die VK Bund, nicht nur vor, wenn Preisangaben fehlten, sondern auch dann, wenn der angegebene Preis unzutreffend sei. Der Bieter müsse für die jeweilige Leistungsposition die nach seiner Kalkulation zutreffende Preisangabe machen. Eine Preisangabe sei unzutreffend, wenn auch nur für eine Position nicht der Betrag angegeben werde, der für die betreffende Leistung tatsächlich beansprucht werde.
So liegt der zu entscheidende Fall nach Ansicht der VK Bund. Denn nach den vom Antragsteller vorgelegten Angebotsunterlagen sei nicht eindeutig, welche Preise für die Positionen 1 bis 4 des Leistungsverzeichnisses tatsächlich beansprucht würden. Der tatsächlich gemeinte – vom Antragsteller gewollte – Preis könne hier durch Auslegung des Angebotsinhalts gemäß §§ 133, 157 BGB nicht eindeutig ermittelt werden. Bei der Auslegung des Angebots sei maßgeblich darauf abzustellen, wie der Empfänger das Angebot im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung habe verstehen müssen. Zwar sei die Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs erklärtes Ziel der jüngsten Vergaberechtsmodernisierung gewesen. Wie auch der BGH in seinem Urteil vom 18.06.2019 (X ZR 86/17) herausgestellt habe, solle die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel nicht unnötig reduziert werden. So sei in dem vom BGH entschiedenen Fall ein Angebot nicht aus formellen Gründen auszuschließen gewesen, obwohl der Bieter eigene AGB beigefügt habe. Laut BGH habe in dem dort zu entscheidenden Fall seitens des Bieters alles auf ein Missverständnis über die im Vergabeverfahren einseitige Maßgeblichkeit der vom Auftraggeber vorgegebenen Bedingungen hingedeutet, denen der Bieter aber voraussichtlich von vornherein Rechnung getragen hätte, wenn ihm diese bewusst gewesen wäre. Die Regelung in § 1 Abs. 1.3 ZVB-Bau habe es in diesem Fall ermöglicht, das Angebot in der Wertung zu belassen.
Jedoch sei ein Fall, wie ihn der BGH entschieden habe, hier nicht gegeben. Ein bloßes Missverständnis des Antragstellers über die Geltung bestimmter Teile seines Angebots (beispielsweise eigener AGB) sei hier nicht feststellbar. Durch eine reine Auslegung des Angebots sei nicht zweifelsfrei ermittelbar, welche Preise die letztgültigen sein sollten, auf die der Zuschlag ergehen könnte. Beide Unterlagen enthielten unterschiedliche Datumsangaben und seien als unterschiedliche Dateien im Rahmen des elektronisch geführten Vergabeverfahrens auf die Plattform hochgeladen worden.
Der Antragsteller verweise zwar darauf, dass aufgrund des Datums der Erklärungen das spätere mit Datum vom 18.11.2020 ausgefüllte Leistungsverzeichnis letztverbindlich sein solle, nicht aber der Angebotsvordruck mit Datum von 20.10.2020. Ob das später datierende Leistungsverzeichnis die angebotenen Preise abbilde und der Angebotsvordruck somit obsolet sei, könne jedoch nicht einfach aufgrund des Datums von der Antragstellerin angenommen werden. Dies sei auch deshalb der Fall, weil der Angebotsvordruck die vertraglich verbindliche Erklärung des Bieters im Vergabeverfahren darstelle. Für die Auftraggeberin sei jedenfalls ohne weitere Nachforschung nicht zweifelsfrei erkennbar, welche Preisangaben zum Angebotsabgabetermin verbindlich angeboten worden seien.
Die Auftraggeberin könne die Widersprüchlichkeit der Angaben nicht durch Nachforschungen beim Antragsteller selbst beseitigen. Die Grenze der Auslegung einer Willenserklärung sei erreicht, wenn der Auftraggeber Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter anstellen müsste. Der Bieter habe es sonst in der Hand, den angebotenen Preis nachträglich gegen einen anderen auszutauschen. Eine Auslegung sei daher hier im Ergebnis schon aus Gründen des Wettbewerbs gemäß § 97 Abs. 1 GWB nicht möglich.
Auch eine Nachforderung bzw. Aufklärung von Preisen sei gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 VgV unzulässig. Die Auftraggeberin habe zu Recht festgestellt, dass eine Aufklärung von Preisangaben hier ausgeschlossen sei. Denn es handele sich nicht um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht veränderten oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigten. Die Wertungsreihenfolge würde hier vielmehr tatsächlich verändert werden. Eine Aufklärung der Preisangaben sei daher nicht zulässig und zu Recht unterblieben.
Fazit und Praxishinweise
Aus der Entscheidung der VK Bund ist zu entnehmen, dass die Grenze der Auslegung einer Willenserklärung erreicht ist, wenn der Auftraggeber Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter anstellen müsste. Insoweit dürfte in den wenigsten Fällen eine eindeutige Auslegung von unterschiedlichen Preisangaben im Hinblick auf die gleichen Leistungspositionen möglich sein. Die VK Bund weist zu Recht darauf hin, dass auch eine Nachforderung bzw. Aufklärung von Preisen gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 VgV ausscheidet, wenn es sich nicht ausnahmsweise um unwesentliche Einzelpositionen handelt, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht veränderten oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigten.
Vor diesem Hintergrund heißt es für Auftraggeber: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Weniger ist mehr. Oder doppelt gemoppelt hält nicht besser. In diesem Sinne sollten Auftraggeber bei der Gestaltung ihrer Vergabeunterlagen vermeiden, dass an verschiedenen Stellen Preise für die gleichen Leistungspositionen eingetragen werden müssen. Auch sollten Auftraggeber darauf achten, dass sie eine etwaig von der Vergabeplattform im Bietertool vorgesehene Eintragung von Preisen von vornherein sperren, um abweichenden Preisangaben vorzubeugen. Ansonsten sollten sie in den Bewerbungsbedingungen zumindest eine Vorrangregelung bei abweichenden Preisangaben vorsehen.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit Prüfung und Wertung von Angeboten? Wir beraten Sie gerne!