Regelmäßig bewerten Auftraggeber bei der Ausschreibung von Dienstleistungen den Erfüllungsgrad qualitativer Kriterien anhand von bieterseitig einzureichenden Konzepten. Dabei wird häufig – aus nachvollziehbaren Gründen – das Erreichen einer Mindestpunktzahl pro Kriterium bzw. Konzept als Mindestbedingungen vorgegeben, um den Zuschlag erhalten zu können. Nunmehr hat sich die VK Bund in ihrem Beschluss vom 21.01.2022 (VK 2-131/21, abrufbar unter folgendem Link) konkret zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens im Rahmen eines offenen Verfahrens geäußert.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb die Einrichtung und den Betrieb eines Bürger-Service-Centers europaweit aus. Die Bewerbungsbedingungen sahen vor, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot unter Berücksichtigung von Preis und Leistung erteilt wird. Zur Ermittlung der Leistungspunktzahl waren zu fünf Kriterien Konzepte einzureichen, wobei Kriterium 4 (K4) die Qualität des Konzeptes „Bürgeranfragen Service-Hotline" betraf. Dieses war mit insgesamt 15 % der Leistungspunkte gewichtet und enthielt, mit je 33,3 % Gewichtung, die Unterkriterien „Inhaltliche Richtigkeit“, „Sprachliche Richtigkeit und bürgernahe Formulierung“ sowie „Erfassung und Beantwortung aller, auch implizit geäußerter, Fragen und Anliegen“. In den Bewerbungsbedingungen war in der tabellarischen Übersicht der Qualitätskriterien K1 bis K5 jeweils ausgeführt:
„Mindestanforderung: Das Konzept des Bieters muss in Bezug auf dieses Kriterium mindestens zwei Punkte erreichen."
Unter anderem gab die spätere Antragstellerin ein Angebot unter Beifügung der geforderten Konzepte ab.
Nach Prüfung und Wertung der Angebote teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es für das Konzept zu Kriterium 4 lediglich eine Gesamtbewertung von 1,73 Punkten erhalten und somit die Mindestpunktzahl von zwei Punkten nicht erreicht habe.
Daraufhin rügte die Antragstellerin, dass die Formulierung in den Bewerbungsbedingungen, nach der Angebote nicht für den Zuschlag in Betracht kämen, die bei einem Konzept weniger als zwei Punkte erhielten, keinen Ausschluss rechtfertigen könne. Diese Formulierung sei einerseits unklar und andererseits nicht gerechtfertigt.
Nachdem die Auftraggeberin der Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin bei der VK Bund einen Nachprüfungsantrag.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Bund: Das Angebot der Antragstellerin wurde zu Recht wegen Nichterreichens der Mindestpunktzahl in Kriterium 4 nicht für den Zuschlag ausgewählt!
Zunächst ergebe sich, so die VK Bund, aus den Vergabeunterlagen mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Erreichung von mindestens zwei Punkten in jedem Wertungskriterium als Mindestbedingung gefordert gewesen sei, bei deren Nichterzielung das Angebot nicht als das wirtschaftlichste in Betracht kommen und damit nicht beauftragt werden könne.
Die Aufstellung dieser Mindestanforderung sei hier, so die VK Bund weiter, auch in der Sache zulässig. In der Richtlinie 2014/24/EU werde in Erwägungsgrund 45 zum Verhandlungsverfahren ausgeführt, dass öffentliche Auftraggeber Mindestanforderungen aufstellen dürften, die das Wesen der Beschaffung charakterisierten. Entsprechende Regelungen fänden sich dann im weiteren Verlauf der Richtlinie zum Verhandlungsverfahren und zu Innovationspatenschaften sowie zu Ausschreibungen, die „Varianten" betreffen. Dass eine entsprechende ausdrückliche Regelung im Bereich des offenen Verfahrens nicht getroffen worden sei, stehe jedoch auch dort der grundsätzlichen Zulässigkeit nicht entgegen. Der EuGH habe insoweit in seinem Urteil vom 20.09.2018 (Rs. C-546/16, abrufbar unter folgendem Link) entschieden, dass bei einem offenen Verfahren die öffentlichen Auftraggeber berechtigt seien, Mindestanforderungen hinsichtlich der technischen Bewertung festzulegen. Er verweise dabei ausdrücklich auf Erwägungsgrund 90 der Richtlinie 2014/24/EU, nach dem es öffentlichen Auftraggebern freistehe, angemessene Qualitätsstandards in Form von technischen Spezifikationen oder von Bedingungen für die Auftragsausführung festzulegen. Weiter ziehe er Erwägungsgrund 92 der Richtlinie 2014/24/EU heran, der öffentliche Auftraggeber zur Wahl von Zuschlagskriterien ermutige, mit denen sie qualitativ hochwertige Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen erhalten könnten, die ihren Bedürfnissen optimal entsprächen. Ein Angebot, welches die Mindestpunktzahl nicht erreiche, entspreche grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers und brauche damit nicht bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes berücksichtigt zu werden.
Die Vergabekammer sehe auch für das vorliegende Vergabeverfahren keinen Grund, aus dem das Aufstellen von Mindestanforderungen per se unzulässig sein solle. Insbesondere sei die Mindestanforderung hier transparent und bestimmt bekannt gemacht worden. Die Festlegung eines qualitativen Mindeststandards sei Ausfluss des Rechts des Auftraggebers, die Wertungsvorgaben und damit die Wirtschaftlichkeit der Angebote selbst zu definieren. Der Vergabekammer sei aus einer Vielzahl von Nachprüfungsverfahren, die sich auf Vergabeverfahren anderer großer öffentlicher Auftraggeber bezögen, bekannt, dass qualitative Mindeststandards, angeknüpft an das Erreichen von Mindestpunktzahlen, auch nicht unüblich seien.
Die Auftraggeberin habe nachvollziehbar erklärt, dass die Leistung des zukünftigen Auftragnehmers für die Außendarstellung der Auftraggeberin von großer Bedeutung sei und mangelhafte Antworten an Bürgerinnen und Bürger großen Schaden anrichten könnten. Auch diene die Beauftragung eines Dienstleisters zur Bearbeitung der Bürgeranfragen der Entlastung der Auftraggeberin, so dass keine Korrekturen der Antwortschreiben durch Mitarbeitende der Auftraggeberin vorgesehen seien. Vor diesem Hintergrund sei angesichts der nachgefragten Leistung die grundsätzliche Forderung nach einer Mindestqualität der Leistung bzw. jedenfalls der einzureichenden Konzeptarbeiten dem Auftragsgegenstand angemessen und verhältnismäßig nach § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB.
Die Bewertung des Angebotes der Antragstellerin im Kriterium 4 überschreite nicht den der Auftraggeberin zustehenden Beurteilungsspielraum.
Fazit
Mit der Entscheidung der VK Bund ist nunmehr geklärt, dass der öffentliche Auftraggeber auch bei einem offenen Verfahren berechtigt ist, Mindestanforderungen hinsichtlich der technischen Bewertung festzulegen. Ein Angebot, welches die Mindestpunktzahl dann nicht erreicht, entspricht grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers und muss bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt werden.
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