Kaum ein Vergabeverfahren geht ohne Bieterfragen über die Bühne. Daher könnte man meinen, dass Auftraggeber sehr geübt und entsprechend souverän im vergaberechtskonformen Umgang mit Bieterfragen und deren Beantwortung sind. Dies wird wohl auf die allermeisten Auftraggeber auch so zutreffen. Allerdings gibt es auch Ausreißer. Ein solcher lag auch dem Beschluss der VK Nordbayern vom 11.09.2024 (RMF-SG21-3194-9-18, abrufbar unter folgendem Link) zugrunde und bot Anlass und Möglichkeit, einige Grundsätze im Zusammenhang mit der Beantwortung von Bieterfragen in Vergabeverfahren nochmals hervorzuheben.
Die Auftraggeberin schrieb Planungsleistungen der Leistungsphasen 8 und 9 im Zusammenhang mit dem Ersatzneubau von Brücken aus. Frist für die Anforderung zusätzlicher Informationen war der 21.05.2024. Ablauf der Angebotsfrist war der 04.06.2024.
Vor Ablauf der Angebotsfrist richtete die spätere Antragstellerin diverse Fragen an die Auftraggeberin, die diese mitunter nur gegenüber der Antragstellerin beantwortete. So stellte unter anderem die Antragstellerin am 03.06.2024 Bieterfragen zu den Themen Planprüfung und Nachtragsprüfung. Darauf antwortete die Auftraggeberin am 04.06.2024 lediglich gegenüber der Antragstellerin, dass es keine gesonderte Position Planprüfung gebe, die Leistungsphase 8 aber die Prüfung der Unterlagen einschließlich der Planprüfung beinhalte. Ferner teilte sie exklusiv gegenüber der Antragstellerin mit, dass die Anzahl der Positionen im Nachtrag nicht festgelegt sei und vom Nachtrag abhänge. Diese Vorgehensweise sei bei der Auftraggeberin üblich und es obliege den Bietern, dies anhand der eigenen vergangenen und vergleichbaren Erfahrungen sowie der unternehmensspezifischen internen Auftragswerte zu kalkulieren.
Unter anderem gab die Antragstellerin am 04.06.2024 ein Angebot ab.
Mit Nachricht vom 04.06.2024 rügte die Antragstellerin, dass die Auftraggeberin manche ihrer Fragen nur ihr gegenüber bzw. privat beantwortet habe. Da nicht alle Bieter den gleichen Informationsstand hätten, liege ein Vergabeverstoß vor.
Mit Nachricht vom 11.06.2024 teilt die Auftraggeberin mit, dass sie nicht davon ausgehe, dass es sich um eine Rüge im vergaberechtlichen Sinne handele, vorsorglich werde jedoch mitgeteilt, dass keine Abhilfe erfolge.
Am 26.06.2024 stellte die Antragstellerin bei der VK Nordbayern einen Nachprüfungsantrag gerichtet darauf, dass die Auftraggeberin dazu verpflichtet werde, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und sämtliche Bieterfragen und alle Antworten allen Bietern für die Prüfung und ggf. Änderung ihrer Angebote zur Verfügung zu stellen.
Mit Erfolg!
Der Nachprüfungsantrag sei, so die VK Nordbayern, zulässig und begründet. Die teilweise private Beantwortung der Bieterfragen verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiere grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zu Verfügung zu stellen. Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an andere Bieter stelle nach der Rechtsprechung die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden könne: Diese seien etwa anzunehmen bei generellen, auf allgemeinen Kenntnissen beruhenden Auskünften. Dies könne auch für Fragen gelten, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur „Auskunft“ oder zur „Zusatzinformation“ nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entsprängen.
Eine Mitteilungspflicht werde auch dann nicht gesehen, wenn es sich nicht um zusätzliche Informationen handele, wenn die Fragen offensichtlich das individuelle Missverständnis eines Bieters beträfen oder wenn die allseitige Beantwortung der Frage(n) Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen oder die Identität des Bieters preisgeben würde. Die Mitteilungspflicht betreffe zudem nur sachdienliche Auskünfte, also solche, die objektiv mit der Vergabe zu tun hätten und Missverständnisse ausräumten oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworteten. Mitteilungsbedürftig seien damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führten, oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote hätten.
Nach Maßgabe der zuvor dargelegten Maßstäbe, so die VK Nordbayern weiter, habe eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Übermittlung der privat an die Antragstellerin übermittelten Antworten auch an die anderen Bieter bestanden, da jene teilweise zusätzliche angebotsrelevante Informationen beinhaltet hätten. Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass die Nichtübermittlung an andere Bieter vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Ausnahme darstelle. Weiter gelte es zu beachten, dass die konkreten Fragen und Antworten überwiegend Art und Umfang der Leistung bzw. die Kalkulation einzelner Bestandteile beträfen. Weiter könne offen bleiben, ob angesichts des späten Zeitpunkts der Bieterfragen eine Verpflichtung zur Beantwortung bestanden habe, da dies im Fall einer Beantwortung nicht den Grundsatz berühre, dass Antworten auf Bieterfragen grundsätzlich allen Bietern mitzuteilen seien.
Insbesondere die Auskunft, dass die Planprüfung zu den abgefragten Leistungen gehöre, auch wenn
im Leistungsverzeichnis hierfür keine gesonderte Position vorgesehen sei, könne kalkulationsrelevant sein. Im Ergebnis gelte aber auch nichts anderes für die Auskunft, dass die Anzahl der Positionen im Nachtrag nicht festgelegt sei.
Es bestehe auch eine Rechtsverletzung der Antragstellerin. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zu Gunsten der Antragstellerin ausgewirkt hätte.
Daher habe die Auftraggeberin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht im Zuge einer erneuten Angebotsaufforderung die Antworten auf die Bieterfragen der Antragstellerin auch an die anderen Bieter zu übermitteln, soweit dies noch nicht erfolgt sei.
Die Entscheidung der VK Nordbayern bringt es auf den Punkt: Auftraggeber haben Bieterfragen gegenüber allen Bietern zu beantworten. Zwar gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. Diese sind jedoch zur Herstellung des gleichen Informationsstandes der Bieter vor dem Hintergrund des Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatzes sehr eng und restriktiv zu handhaben, sodass schon beim kleinsten Zweifel am Vorliegen einer Ausnahme eine Beantwortung gegenüber allen Bietern anzuraten ist.
Auftraggeber sind daher gut beraten, alle Bieterfragen und die Antworten darauf – möglichst im Wortlaut und ggf. anonymisiert – im Rahmen einer (fortgeschriebenen) Fragen-Antworten-Liste zeitgleich allen Bietern bereit zu stellen. Dies gilt gleichermaßen für Rügen und dazugehörige (Nicht-)Abhilfen. Auch diese sind im Anschluss an eine individuelle Rückmeldung an den Rügenden – möglichst wortlautgetreu und, sofern erforderlich, anonymisiert – allen Bietern gleichermaßen zur Verfügung zu stellen, etwa mittels der erwähnten (fortgeschriebenen) Fragen-Antworten-Liste.
Wie die Entscheidung der VK Nordbayern anschaulich vor Augen geführt hat, kann ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur transparenten und gleichbehandelnden Zurverfügungstellung von Fragen/Rügen und Rückmeldung gegenüber allen Bietern zur Folge haben, dass das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und nach der Herstellung eines gleichen Informationsstandes bei allen Bietern fortzuführen ist.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Adressierung von Fragen und Rügen bzw. dem diesbezüglichen Umgang nach deren Eingang? Wir beraten Sie gerne!