Vor ziemlich genau zwei Jahren stellte die VK Südbayern die ansonsten eher friedliche und beschauliche Welt des Vergaberechts auf den Kopf, als sie mit Beschluss vom 29.03.2019 (Z3-3-3194-1-07-03/19, abrufbar unter folgendem Link) zur Verwunderung aller feststellte, dass die Bereitstellung der Vorabinformation über die Vergabeplattform nicht den Anforderungen an das Versenden einer Information in Textform im Sinne von § 134 GWB genüge.
Missmutig wurden von gehorsamen Auftraggebern in der ganzen Republik die verstaubten Faxgeräte aus dem Keller hervorgeholt und/oder eifrig E-Mail-Postfächer bemüht, um rechtssicher wirksame Vorabinformationsschreiben an die im Vergabeverfahren nicht zum Zuge kommenden Bieter zu verschicken.
Der Glaube an die Sinnhaftigkeit der eVergabe war nachhaltig erschüttert. Sollte denn tatsächlich die gesamte Verfahrenskommunikation über die Vergabeplattform abgewickelt werden, um ihr dann ausgerechnet beim finalen Akt „Vorabinformation“ doch die kalte Schulter zu zeigen, zumindest aber zusätzlich per Fax und/oder E-Mail die schlechte Nachricht an die Verschmähten überbringen zu müssen?!
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte nunmehr die VK Saarland die Gelegenheit, sich zur Frage der Wirksamkeit einer über die Vergabeplattform in das dortige Postfach des Bieters übersandten Vorabinformation zu äußern. Und siehe da: Auch wenn das Saarland noch nicht ganz in Gallien liegt, hat man sich dennoch unbeugsam gegen die aus dem Süden kommende Rechtsauffassung aufgelehnt und – ganz ohne Zutun von Zaubertrank und dafür bewaffnet mit scharfem Verstand und Subsumtionsgeschick – die ehemals heile Welt des Vergaberechts wiederhergestellt.
Auch auf die Gefahr hin, dass er das „Aus“ von Faxgeräten im Vergabekosmos besiegeln könnte, wollen wir den Beschluss der VK Saarland vom 22.02.2021 (1 VK 06/2020) – wie Majestix auf seinem Schild – in die Welt hinaustragen und auch Ihnen nicht vorenthalten…
Was war passiert?
Der Auftraggeber wickelte eine europaweite Ausschreibung über eine Vergabeplattform ab und übermittelte schließlich auch die Vorabinformationen jeweils als individuelle Benachrichtigungen über den Kommunikationsbereich der Vergabeplattform im maßgeblichen Projektbereich in die Postfächer der unterlegenen Bieter. Die Benachrichtigung enthielt jeweils die von § 134 Abs. 1 GWB geforderten Informationen und benannte als frühestmöglichen Zeitpunkt für den Vertragsschluss mit dem Bestbieter – ausgehend vom Zeitpunkt der Übermittlung der Benachrichtigung über das Vergabeportal zutreffend ermittelt – den 03.11.2020. Zugleich benachrichtigte die Vergabeplattform die betroffenen Bieter automatisch per E-Mail, dass für sie jeweils im Benutzerbereich der Vergabeplattform eine Nachricht hinterlegt wurde. Die spätere Antragstellerin öffnete rund eine Stunde nach Erhalt der E-Mail-Benachrichtigung das für sie auf der Vergabeplattform hinterlegte Vorabinformationsschreiben.
Anschließend rügte sie gegenüber der Auftraggeberin diverse Vergaberechtsverstöße und beanstandete insbesondere auch, dass aufgrund der Übersendung der Vorabinformation über die Vergabeplattform die Wartefrist nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB nicht wirksam in Gang gesetzt worden sei und daher der Vertrag mit dem vermeintlichen Bestbieter auch nicht, wie von der Auftraggeberin mitgeteilt und vorgesehen, am 03.11.2020 geschlossen werden könne.
Die Auftraggeberin half den Rügen nicht ab und erteilte am Morgen des 03.11.2020 den Zuschlag auf das Angebot des Bestbieters. Am Nachmittag erhielt die Auftraggeberin den seitens der Antragstellerin zwischenzeitlich bei der VK Saarland eingelegten Vergabenachprüfungsantrag.
Der Nachprüfungsantrag blieb jedoch:
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Saarland: Die Vorabinformationsfrist des § 134 Abs. 2 GWB wurde durch das Einstellen in das persönliche Nutzerkonto des Bieters auf der Vergabeplattform in Gang gesetzt und gewahrt, sodass die Zuschlagserteilung wirksam ist!
Zunächst hält die VK Saarland fest, dass das Einstellen in das elektronische Postfach der Antragstellerin auf der Vergabeplattform die Voraussetzung des „Absendens“ nach § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB erfülle, sodass der Fristenlauf in Gang gesetzt worden sei.
Da das Vergabeverfahren vollständig über die Vergabeplattform digital abgewickelt worden sei, könne „Versenden“ auf elektronischem Weg im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB nicht ausschließlich auf das Absenden einer herkömmlichen E-Mail oder eines Faxes beschränkt werden. Der Gesetzgeber benenne das Medium, mittels dessen die Information auch elektronisch übermittelt werden könne, nicht. Vielmehr sei die Norm in ihrem Kontext nach dem Wortlaut, dem Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck technikoffen gehalten und nach Maßgabe der Bedeutung des Begriffs der Textform auszulegen.
§ 126b BGB definiere, so die VK Saarland weiter, Textform als eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt sei und die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden müsse. Ein dauerhafter Datenträger sei jedes Medium,
Textform setze damit voraus, dass die an den Empfänger persönlich gerichtete Information dergestalt zu speichern sei, dass ihr Inhalt und ihre Zugänglichkeit während angemessener Dauer nicht verändert werden könne und hierdurch die Möglichkeit ihrer originalgetreuen Wiedergabe gegeben sei.
Diese Aspekte der Textform sind nach Auffassung der VK Saarland mit der Nachrichtenübermittlung über die streitgegenständliche cosinex-basierte Vergabeplattform gewahrt. Nachrichten, die über den Kommunikationsbereich der Vergabeplattform an den Bieter gelangten, seien lesbare Erklärungen, die außerdem mit Zeitstempel versehen sowie druckfähig oder elektronisch speicherbar seien. Eine nachträgliche Veränderung oder Löschung erscheine dabei nach der Ausgestaltung der Software nicht möglich. Ferner blieben die eingestellten Informationen mindestens für die Dauer des Vergabeverfahrens im persönlichen Kommunikationsbereich des Bieters erhalten und abrufbar.
Ferner sei die Einstellung einer Information auf der Vergabeplattform als „Versenden“ bzw. „Absenden“ im Sinne des § 134 GWB anzusehen. „Versenden“ in elektronischer Form sei dabei nicht das physische Versenden, sondern bedeute das elektronische „Auf den Weg bringen“ der Information in Textform, d. h. das Verlassen des Machtbereichs des Sendenden derart, dass die Information durch diesen nicht mehr einseitig verändert oder gelöscht werden könne. Dabei müsse zu erwarten sein, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelange. In diesem Sinne müsse es dem Empfänger möglich sein, jederzeit und ohne Zutun des Absendenden auf die im Postfach eingelegte Information zuzugreifen.
Dies sei, so die VK Saarland weiter, jedenfalls dann der Fall, wenn die maßgebliche Information in einem nur persönlich zugänglichen Raum des Empfängers eingestellt werde. Im Unterschied zum bloßen Bereitstellen einer Information auf einer Plattform gelange das Schreiben nach § 134 GWB durch das Einstellen in das persönliche Nutzerkonto des Empfängers allein in dessen Machtbereich, auf den nur er allein mittels Zugangsdaten, vergleichbar einem Schlüssel, Zugriff habe. Mit dem Einstellen der Nachricht in dem persönlichen Nutzerbereich werde dieser Vorgang softwareseitig revisionssicher gespeichert, sodass ausgeschlossen sei, dass die Vergabestelle die abgesendeten Dateien in irgendeiner Form verändern, löschen oder sonst manipulieren könne. Damit sei ein regelgerechter Zugang mit Einstellen der Nachricht im Nutzerkonto zu erwarten.
Ob es darüber hinaus von entscheidender Bedeutung ist, dass der Empfänger per E-Mail oder auf sonstige Weise, z. B. per SMS oder digitaler Push-Mitteilung o. ä., ausdrücklich über das Vorliegen einer Nachricht in seinem Benutzerkonto benachrichtigt wird, konnte die VK Saarland offen lassen. Denn eine derartige E-Mail-Nachricht wurde systemseitig automatisch mit dem Einstellen der Information in das Benutzerkonto der Antragstellerin generiert und diese nahm von der Nachricht im Benutzerkonto innerhalb einer Stunde Kenntnis.
Fazit und Praxishinweise
Im Ergebnis bleibt auf Grundlage des Beschlusses der VK Saarland festzuhalten, dass der Fristlauf durch elektronisches Versenden entsprechend den Anforderungen des § 134 Abs. 2 GWB in Gang gesetzt wird, wenn die elektronische Information
Die Ausführungen der VK Saarland überzeugen in dogmatischer Hinsicht und erscheinen ferner praxistauglich wie -angemessen. Auch wenn die Entscheidung konkret zu einer cosinex-basierten Vergabeplattform ergangen ist, ist sie auf andere Vergabeplattformen, die die gleichen Gestaltungsmerkmale und „Features“ aufweisen, übertragbar. Insoweit dürfte sie – soweit ersichtlich – bei allen gängigen Vergabeplattformen anwendbar sein; zumindest ist zu erwarten, dass auch andere Betreiber von Vergabeportalen diese zeitnah entsprechend den von der VK Saarland „geforderten“ Merkmalen anpassen werden.
Auf Grundlage der Entscheidung der VK Saarland erscheint es – nicht zuletzt auch mit Blick auf das in diese Richtung gehende „Stimmungsbild“ in der Literatur – nunmehr gut vertretbar, zumindest außerhalb Bayerns die Vorabinformationen zukünftig via (einer entsprechend ausgestalteten) Vergabeplattform zu versenden. Auftraggebern, die auf „Nummer sicher“ gehen wollen, ist jedoch zu empfehlen, zumindest bis zu einer bestätigenden zweitinstanzlichen Entscheidung die Vorabinformation zusätzlich noch per Fax und/oder per E-Mail zu versenden.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Gestaltung und Versendung von Vorabinformationen? Wir beraten Sie gerne!