Ein Klassiker in der Kundenkrise
Früher oder später muss jeder Lieferant einmal über Vorkasse nachdenken. Muss ein Kunde eine wirtschaftliche Krise überstehen, hat er meist schon länger nicht mehr alle Rechnungen bezahlt. Der Lieferant fürchtet mit jeder weiteren Lieferung neue Außenstände. Um von der Krise nicht in die Insolvenz zu schlittern, ist der Kunde auf die Weiterbelieferung aber dringend angewiesen. In dieser Situation scheint die Vorkasse den Lieferanten gut zu sichern, weil er erst das Entgelt erhält, bevor er weitere Waren liefert. Was man hat, hat man.
Rechtlich ist es mit der Vorkasse leider nicht so einfach. War der Kunde insolvent und nicht nur in der Krise, muss der Lieferant das Geld evtl. dem Insolvenzverwalter herausgeben, hat aber mittlerweile geliefert. Seine Entgeltforderung fällt dann nachträglich (fast vollständig) aus. Er ist auf die meist sehr geringe Insolvenzquote angewiesen.
Wer Lieferungen auf Vorkasse in der Kundenkrise erwägt, muss sich daher mit mehreren Fragen auseinandersetzen: Ist der Kunde etwa schon insolvent oder muss er „nur“ eine Krise überbrücken? Woran erkennt man die Insolvenz? Wann wird die Vorkasse wegen der Insolvenz überhaupt zur Rückzahlung fällig?
Wann das Unternehmen insolvent ist
Die Krise und die Insolvenz sind für den Gläubiger von außen nur schwer unterscheidbar. In beiden Fällen fehlt dem Gläubiger Liquidität. Erst die sog. Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) ist aber ein Insolvenzgrund. Sie liegt vor, wenn der Schuldner seine Zahlungen im Wesentlichen eingestellt hat. Dass einzelne Forderungen noch bedient werden, schließt die Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Die Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04) nimmt an, dass ein Unternehmen dann insolvent ist, wenn es mehr als 10 % seiner Forderungen nicht mehr bedienen kann.
Für den Geschäftspartner ist die Grenze von Krise und Insolvenz damit nur zu vermuten. Gerät ein Kunde in wirtschaftliche Schieflage, merkt man dies meist zuerst an hohen Außenständen. Die Rechnungen werden immer später und irgendwann fast gar nicht mehr beglichen. Jedenfalls wenn die Außenstände ein beträchtliches Ausmaß erreichen, der Lieferant der Hauptforderungsinhaber ist oder man Kenntnis über andere Lieferanten mit ähnlichen Problemen hat, liegt eine Insolvenz nahe.
Ein Lieferant wird daher die Entscheidung zur Vorkasse vor allem davon abhängig machen müssen, die Außenstände seines Kunden in den Griff zu kriegen.
Unter Umständen wird der Kunde aber auch aktiv auf den Lieferanten zukommen und ihn gemeinsam mit weiteren Gläubigern über seine Situation informieren. Meist wird er damit die Bitte um eine Weiterbelieferung gegen Vorkasse verbinden, um „kurzfristige“ Schwierigkeiten zu überbrücken und so wieder in ruhigeres Fahrwasser zu kommen.
Spricht der Kunde seinen Lieferanten aktiv an, wird er in der Regel eine gute Erklärung liefern, warum er nicht insolvent ist, sondern gerade eine schwierige Zeit durchmacht. Gibt es keine deutlichen Zeichen, dass seine Geschichte nicht stimmen kann, darf der Lieferant grundsätzlich auf diese Erklärung vertrauen.
Dieses Vertrauen des Lieferanten schützt seine Vermögensinteressen allerdings nicht zwingend. Am Ende wird ein Gericht entscheiden ob zu dem Zeitpunkt, in dem die Vorkasse gezahlt wurde, eine Insolvenz des Kunden bereits eingetreten war und ob die Umstände für diese Insolvenz sprachen. Ob die einbehaltene Vorkasse dann herauszugeben ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab.
Probleme mit der Vorkasse in der Insolvenz
Ein Gläubiger muss in der Insolvenz des Schuldners solche Zahlungen zur Masse zurückgewähren, die der Insolvenzverwalter nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen anfechten kann (vgl. die §§ 129 ff. InsO).
In dem Verhältnis Lieferant und Kunde kommt eine Anfechtung vor allem bei sog. kongruenten Deckungsgeschäften gemäß § 130 InsO in Betracht, wenn der Lieferant die Vorkasse genau dann und in genau der Höhe erhalten hat, die er verlangen durfte. Dies wird bei einer Lieferung auf Vorkasse selten zweifelhaft sein. Etwas anders könnte allerdings gelten, wenn die Vorkasse auch als Sicherung für die bislang aufgelaufenen Außenstände dienen soll. Eine solche Abrede sollte man daher besser vermeiden.
Daneben ist aber auch immer die sog. Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO im Blick zu halten, die Geschäfte der letzten zehn Jahre rückgängig macht, die der Schuldner mit dem Vorsatz, andere Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat.
Kongruente Deckungsgeschäfte kann der Insolvenzverwalter anfechten, wenn die Leistung des Schuldners (hier: die Vorkasse) innerhalb von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getätigt wurde, der Schuldner im Zeitpunkt der Leistung zahlungsunfähig war und der Gläubiger dies wusste. Es reicht aus, wenn der Gläubiger solche Umstände kannte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO). Dazu kann es reichen, wenn die eigenen, bei Fälligkeit nicht getilgten Forderungen des Lieferanten eine beträchtliche Höhe erreichen.
Der Austausch von Waren gegen Vorkasse kann aber trotz dieser vermuteten Kenntnis des Gläubigers über die Insolvenz seines Kunden ausnahmsweise nicht angefochten werden, wenn ein privilegiertes Bargeschäft nach § 142 InsO anzunehmen ist. Erhält der Kunde unmittelbar (d. h. zeitlich kurzfristig nach der Vorkasse) eine gleichwertige Gegenleistung für seine Leistung, hat der Leistungsaustausch Bestand. Wenn der Lieferant zeitnah zu marktüblichen Preisen an seinen Kunden liefert, muss er eine Anfechtung nach § 130 InsOdemnach nicht mehr fürchten. Aber Vorsicht: Trifft die Vorkasse mit einem Eigentumsvorbehalt zusammen, funktioniert das Bargeschäft bei manchen Vorbehaltsregelungen nicht. Je nach Gestaltung erlangt der Kunde wegen seiner Altverbindlichkeiten beim Lieferanten nämlich kein Eigentum an gelieferten Waren. Dann erhält der Kunde gerade keine gleichwertige Leistung. Der Eigentumsvorbehalt sollte daher für Lieferungen gegen Vorkasse nicht mehr vereinbart werden. Er nützt für diese Neugeschäfte ohnehin nicht.
Bei Vorkasse-Geschäften kann auch die Vorsatzanfechtung eine Rolle spielen. Sie ist möglich, wenn der Schuldner seine Gläubiger bewusst benachteiligen möchte und der Zahlungsempfänger dies wusste (§ 133 InsO). Sie reicht bis zu zehn Jahre vor einem Insolvenzantrag zurück. Dem Gläubiger wird ohnehin oft unterstellt, dass er von der Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners Kenntnis hatte. Es ist in dieser Situation der Zahlungsunfähigkeit außerdem sehr naheliegend und damit dem Gläubiger die entsprechende Kenntnis ebenfalls vorwerfbar, dass der Schuldner ein hohes Interesse daran hat, wichtige Lieferanten anderen Gläubigern gegenüber zu bevorzugen, um die Geschäfte einstweilen fortzuführen. Dies gilt besonders dann, wenn ein Lieferant, von dessen Betriebserzeugnissen die Betriebsfortführung des Schuldners maßgeblich abhängt, den zahlungsunfähigen Schuldner vor die Wahl stellt, entweder nicht weiter beliefert zu werden oder entgegen der bisherigen Praxis für zukünftige Warenlieferungen Vorkassezahlungen zu leisten (vgl. nur OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.01.2007 – 4 U 311/06).
Trotzdem ist dem Lieferanten aber nicht in jedem Fall die Vorstellung vorwerfbar, dass die Vorkasse zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt hat. Wenn die Gleichwertigkeit der Lieferanten-Leistungen und der Vorkasse anzunehmen ist, spricht viel dafür, dass sich der Lieferant von der Vorstellung leiten ließ, er sei Teil einer Verwertungskette, an deren Ende der Schuldner für sein Produkt ein Entgelt erhalten würde, das allen Gläubigern gleichmäßig zugutekommt. Bei dieser Vorstellung aber fehlt es an der erforderlichen Kenntnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 17.07.2014 – IX ZR 240/13).
Fazit
Ein Lieferant hat zahlreiche Hürden zu umschiffen, wenn er einem Kunden in der Krise unter die Arme greifen will und gleichzeitig für seine Leistung zudem eine Gegenleistung bekommen und behalten möchte. Er ist gut beraten, wenn er dafür Sorge trägt, dass er seine Leistung sehr zeitnah nach Erhalt der Vorkasse und ohne Auflagen erbringt, marktübliche Preise für seine Leistung auch in der Kundenkrise beibehält und mit dem Ziel handelt, nur solche Leistungsverhältnisse zu begründen, die nach seinem Kenntnisstand am Ende zu einem Ertrag beim Kunden führen. Er sollte auf keinen Fall, seinen Kunden zur Vorkasse „erpressen“, da dann das Risiko steigt, in der Insolvenz erhaltenes Entgelt wieder herauszugeben. Passt alles, kann er am Ende tatsächlich dem Kunden helfen und sein Entgelt behalten.